Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
ging ein paar Schritte, und plötzlich fiel ein Mann über ihn her. Ich weiß nicht genau, was passierte, aber ich hörte, wie jemand ins Wasser fiel.«
»Würden Sie den Mann wiedererkennen?«
»Nein. Es war dunkel, und die Waggons versperrten mir fast die ganze Sicht.«
»In welche Richtung ist er weggelaufen?«
»Ich glaube, er ging am Kai entlang.«
»Und den Funker haben Sie nicht gesehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn nicht.«
»Und Sie? Wie haben Sie das Schiff verlassen?«
»Jemand öffnete die Tür der Kabine, in der ich eingesperrt war. Es war Le Clinche. Er sagte:
›Verschwinden Sie schnell!‹«
»Ist das alles?«
»Ich wollte ihn fragen, was los war. Ich hörte Leute auf dem Kai umherlaufen und sah im Hafenbecken ein Boot, das sich mit einem Scheinwerfer näherte.
›Verschwinden Sie!‹ sagte Le Clinche noch einmal. Er schob mich zum Steg. Alle schauten woanders hin.
Niemand achtete auf mich. Ich ahnte wohl, daß da etwas Scheußliches passiert war, aber ich zog es vor zu verschwinden … Ein Stück weiter erwartete mich Gaston.«
»Und dann?«
»Gaston war leichenblaß. Wir gingen in verschiedene Bistros und tranken Rum. Wir übernachteten im Chemin-de-Fer. Am nächsten Tag berichteten die Zeitungen vom Tod Falluts. Da haben wir uns für alle Fälle nach Le Havre abgesetzt. Wir hatten nämlich keine Lust, in diese Geschichte verstrickt zu werden.«
»Trotzdem hat es sie wieder hierhergezogen!« ließ ihr Liebhaber böse verlauten. »Ich weiß nicht, war es wegen des Funkers oder …«
»Halts Maul! Es reicht! Natürlich interessierte mich die Geschichte. Wir waren dreimal hier. Um nicht zu sehr aufzufallen, schliefen wir in Yport.«
»Haben Sie nicht den Chefmaschinisten wiedergesehen?«
»Woher wissen Sie das? … Eines Tages in Yport … Allein der Blick, den er mir zuwarf, machte mir Angst. Er folgte mir ein ganzes Stück.«
»Warum haben Sie sich vorhin mit Ihrem Freund gestritten?«
Sie zuckte die Schultern.
»Darum! Haben Sie es immer noch nicht begriffen? … Er ist überzeugt, daß ich in Le Clinche verliebt bin, daß der Funker meinetwegen den Mord begangen hat und was sonst noch. Er hat mir Szenen gemacht. Aber ich habe das jetzt satt. Ich habe auf dem Unglücksschiff genug durchgemacht.«
»Trotzdem sind Sie, als ich Ihnen auf der Caféterrasse Ihr Foto zeigte …«
»Das war schlau eingefädelt von Ihnen! Ich wußte natürlich sofort, daß Sie von der Polizei waren. Ich habe mir gesagt: Le Clinche hat ausgepackt. Ich bekam es mit der Angst und riet Gaston zu verschwinden. Erst unterwegs kamen wir auf den Gedanken, daß das keinen Sinn hatte, daß man uns an der nächsten Straßenecke doch schnappen würde. Außerdem hatten wir nur noch zweihundert Francs in der Tasche … Was werden Sie mit mir machen? Sie können mich doch nicht ins Gefängnis stecken?«
»Glauben Sie, daß der Funker den Mord begangen hat?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Besitzen Sie gelbe Schuhe?« fragte Maigret unvermittelt Gaston Buzier.
»Ich? … Ja, warum?«
»Nur so eine Frage! Sind Sie bestimmt nicht in der Lage, den Mörder des Kapitäns wiederzuerkennen?«
»Ich habe nur einen Schatten in der Dunkelheit gesehen.«
»Nun, Pierre Le Clinche, der sich ebenfalls hinter den Waggons versteckt hatte, behauptet, der Mörder habe gelbe Schuhe getragen.«
Der Mann sprang auf. Seine Augen blickten hart, die Lippen zogen sich zu einem schmalen Strich zusammen.
»Das hat er gesagt? Sind Sie sicher, daß er das gesagt hat?«
Er erstickte fast vor Wut, stotterte. Er war nicht mehr derselbe Mensch. Seine Faust schlug hart auf den Schreibtisch.
»Das ist zuviel! Bringen Sie mich zu ihm! Ich muß ihn sehen! Zum Teufel noch mal! Wir werden schon sehen, wer hier lügt! Gelbe Schuhe! So, ich war es also, was? Er nimmt mir meine Frau weg. Er holt sie vom Schiff herunter. Und er besitzt die Frechheit zu behaupten …«
»Langsam!«
Der Atem war ihm ausgegangen. Er keuchte.
»Hörst du, Adèle? Da siehst du, wie sie sind, deine Liebhaber!«
Tränen der Wut traten ihm in die Augen. Zähneknirschend fuhr er fort:
»Was für ein Unsinn! Ich soll … Ha, ha! Das, das ist das stärkste Stück, das ich je … Das ist ja noch besser als im Kino! … Und, nicht wahr, da ich schon zweimal vorbestraft bin, wird man ihm natürlich glauben! Ich habe Kapitän Fallut umgebracht! Vielleicht, weil ich eifersüchtig auf ihn war? Und was noch? Habe ich nicht auch den Funker getötet?«
Er fuhr sich
Weitere Kostenlose Bücher