Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
Wir sind hier, weil wir uns nichts vorzuwerfen haben. In Yport hat Adèle mir gesagt, daß Sie ein Bild von ihr besitzen und daß Sie sie sicher verhaften würden. Unser erster Gedanke war zu verduften, um Scherereien aus dem Weg zu gehen. Man weiß ja, wie der Hase läuft! Aber in Etretat habe ich schon von weitem gesehen, wie Gendarmen jedes Auto anhielten, und da war mir klar, daß man hinter uns her war. Also habe ich es vorgezogen, freiwillig zu kommen.«
»Zu Ihnen, Madame! Ich habe Sie gefragt, was Sie an Bord des Fischdampfers gemacht haben?«
»Ganz einfach! Ich folgte meinem Liebhaber!«
»Kapitän Fallut?«
»Der Kapitän, ja! Ich war seit November sozusagen mit ihm zusammen. Wir haben uns in einem Café in Le Havre kennengelernt. Er hat sich in mich verliebt. Er kam mich zwei- bis dreimal die Woche besuchen. Am Anfang hielt ich ihn für einen recht komischen Kauz, weil er nie etwas von mir wollte … Aber nein! Er war einfach total in mich verknallt! Die große Liebe! … Er hat ein hübsches möbliertes Zimmer für mich gemietet, und ich habe gemerkt, daß er mich schließlich heiraten würde, wenn ich es nur richtig anfinge. Seeleute sind zwar nicht auf Gold gebettet, aber sie haben ihr festes Gehalt und später eine Pension …«
»Sind Sie nie mit ihm nach Fécamp gekommen?«
»Nein. Er hat es mir verboten. Und eifersüchtig war er! Der gute Mann dürfte nicht sehr viele Abenteuer gehabt haben, denn mit seinen fünfzig Jahren war er den Frauen gegenüber so schüchtern wie ein Gymnasiast. Na ja, als er dann so verschossen in mich war …«
»Pardon! Waren Sie damals schon die Geliebte von Gaston Buzier?«
»Natürlich! Aber ich hatte Gaston dem Kapitän als meinen Bruder vorgestellt.«
»Ich verstehe. Kurz, Sie beide lebten also vom Geld des Kapitäns.«
»Ich habe gearbeitet!« protestierte Buzier.
»Das kennen wir! Jeden Samstagnachmittag, was? Wessen Idee war es, Sie auf das Schiff zu bringen?«
»Falluts. Der Gedanke, mich während der ganzen Fahrt alleine zu lassen, war ihm unerträglich. Andererseits hatte er eine Heidenangst, weil die Vorschriften streng sind, und er war in diesen Dingen sehr pingelig. Bis zum letzten Augenblick hat er gezögert. Dann hat er mich doch geholt. In der Nacht vor dem Auslaufen hat er mich in seine Kabine geschleust. Ich fand es lustig, denn es war mal etwas anderes, aber wenn ich vorher gewußt hätte, wie es sein würde, ich hätte ihm ganz schnell den Laufpaß gegeben!«
»Hatte Buzier nichts dagegen?«
»Er war sich unschlüssig … Verstehen Sie? … Man durfte es mit dem Alten nicht verderben. Er hatte mir versprochen, sich gleich nach dieser Fahrt pensionieren zu lassen und mich zu heiraten … Was für ein hübsches Leben hat er mir auf dem Schiff bereitet! Den ganzen Tag eingesperrt in einer Kabine, in der es nach Fisch stank! Nicht genug damit! Sobald jemand hereinkam, mußte ich mich unter dem Bett verstecken. Wir waren kaum auf offener See, da bereute Fallut auch schon, mich mitgenommen zu haben. Ich habe nie einen Mann gesehen, der so einen Bammel hatte! Zehnmal am Tag kam er und vergewisserte sich, ob die Tür auch richtig verschlossen war. Wenn ich etwas sagte, verbot er mir den Mund aus Angst, daß man mich hörte. Er war mürrisch und gereizt. Manchmal starrte er mich minutenlang an, als wäre er der Versuchung nahe, sich meiner zu entledigen, mich einfach über Bord zu werfen …«
Sie sprach mit schriller Stimme und gestikulierte dabei heftig.
»Außerdem wurde er immer eifersüchtiger. Er fragte mich über meine Vergangenheit aus. Alles wollte er wissen. Einmal sprach er drei Tage lang nicht mit mir, belauerte mich wie einen Feind. Dann plötzlich packte ihn wieder die Leidenschaft. Es gab Augenblicke, da hatte ich wirklich Angst vor ihm.«
»Wer von der Besatzung hat Sie an Bord gesehen?«
»Es war in der vierten Nacht. Ich wollte an Deck frische Luft schnappen. Ich hatte es satt, eingesperrt zu sein … Fallut ging nachsehen, ob niemand da war. Ich durfte nur ein paar Schritte auf und ab gehen. Er war gerade für einen Augenblick auf die Kommandobrücke gegangen, als mich der Funker entdeckte … Wir unterhielten uns. Er war ziemlich gehemmt, aber furchtbar aufgeregt. Am nächsten Tag gelang es ihm dann, sich in meine Kabine zu schleichen.«
»Hat Fallut ihn gesehen?«
»Ich glaube nicht. Er hat nichts davon gesagt.«
»Sind Sie Le Clinches Geliebte geworden?«
Sie gab keine Antwort. Gaston Buzier grinste hämisch.
»Gib
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