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Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Titel: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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allem, wenn man ihn beschuldigt. Dann verschließt er sich aus Stolz und redet keinen Ton mehr. Er ist furchtbar empfindlich, denn er ist oft gedemütigt worden.«
    Maigret legte ihr schwer die Hand auf die Schulter und seufzte unterdrückt.
    Adèles Stimme hallte ihm noch in den Ohren. Er sah sie wieder vor sich: provozierend, so wunderbar sinnlich und begehrenswert in ihrer animalischen Lüsternheit.
    Und hier das wohlerzogene Mädchen mit dem blassen Gesicht, das sich bemühte, ihre Tränen zu ersticken und vertrauensvoll zu lächeln.
    »Wenn Sie ihn richtig kennenlernen …«
    Was aber sie, Marie Léonnec, nie kennenlernen würde, war diese düstere Kabine, um die da draußen auf dem Meer drei Männer tage-, wochenlang herumgestrichen waren, während die anderen im Maschinenraum und im Vorderdeck ein Drama ahnten, die See beobachteten, über ihre Arbeit diskutierten, sich von der Unruhe anstecken ließen und vom bösen Blick und Wahnsinn sprachen.
    »Ich werde Le Clinche morgen sehen.«
    »Und ich?«
    »Vielleicht. Wahrscheinlich. Sie müssen sich jetzt ausruhen.«
    Etwas später hörte er Madame Maigret im Halbschlaf murmeln:
    »Sie ist reizend. Weißt du, daß sie schon ihre ganze Aussteuer beisammen hat? Alles von Hand gestickt … Gibt’s was Neues? … Du riechst nach Parfum …«
    Zweifellos Adèles starkes Parfum, das an seinen Kleidern haftete. Ein gewöhnliches Parfum, genauso gewöhnlich wie der Geruch billigen Rotweins in den Bistros. Ein Parfumgeruch, der sich an Bord des Fischdampfers monatelang mit dem ranzigen Fischgeruch vermischt hatte, während ein paar Männer hartnäckig und bissig wie die Hunde um eine Kabine herumstrichen.
    »Schlaf gut«, sagte er und zog die Decke bis unters Kinn. Er drückte seiner Frau einen langen Kuß auf die Stirn, aber sie war schon wieder eingeschlafen.
    6.
    Die drei Unschuldigen
    Ein ganz gewöhnliches Szenenbild, wie bei den meisten Gegenüberstellungen. Diese hier fand in dem kleinen Gefängnisbüro statt. In dem einzigen vorhandenen Sessel saß Kommissar Girard aus Le Havre, der die Untersuchung leitete. Maigret lehnte an dem Kamin aus schwarzem Granit. An den Wänden hingen Grafiken, amtliche Bekanntmachungen, eine Lithografie des Staatspräsidenten.
    Direkt unter der Lampe stand Gaston Buzier mit seinen gelben Schuhen an den Füßen.
    »Lassen Sie den Funker hereinkommen!«
    Die Tür öffnete sich. Le Clinche, dem man vorher nichts gesagt hatte, trat mit sorgenvoller Miene ein wie ein Mensch, der leidet und auf neue Prüfungen gefaßt ist. Er sah Buzier. Aber er schenkte ihm nicht die geringste Beachtung, sondern blickte um sich und fragte sich, an wen er sich wohl zu wenden habe.
    Adèles Liebhaber allerdings musterte den anderen von Kopf bis Fuß, und sein Mund war dabei verächtlich verzogen. Le Clinches Gesicht war gezeichnet, seine Haut war grau. Er versuchte weder sich in Szene zu setzen noch seine Mutlosigkeit zu verbergen. Er war traurig wie ein krankes Tier.
    »Erkennen Sie den Mann, der vor Ihnen steht?«
    Er starrte Buzier an, schien in seinem Gedächtnis zu kramen.
    »Nein. Wer ist es?«
    »Schauen Sie sich ihn genau an, von oben bis unten.«
    Le Clinche gehorchte, und als sein Blick bei den gelben Schuhen anlangte, schaute er wieder auf.
    »Nun?«
    »Ja.«
    »Was bedeutet dieses ja?«
    »Ich sehe, worauf Sie hinauswollen. Die gelben Schuhe …«
    »Exakt!« brauste Gaston Buzier hitzig auf. Er hatte bis dahin noch nichts gesagt, sondern nur gehässig um sich geblickt.
    »Nun wiederhol mal, daß ich es gewesen bin, der deinen Kapitän um die Ecke gebracht hat! Also?«
    Aller Augen waren auf den Funker gerichtet, der den Kopf senkte und eine müde Geste machte.
    »Sprechen Sie!«
    »Vielleicht waren es gar nicht diese Schuhe.«
    »Ha ha!« lachte Buzier triumphierend. »Du steckst zurück!«
    »Erkennen Sie Falluts Mörder nicht?«
    »Ich weiß nicht, nein.«
    »Aber Sie wissen, daß dieser Herr der Liebhaber einer gewissen, Ihnen bekannten Adèle ist. Er hat zugegeben, daß er sich zur Tatzeit in der Nähe des Fischdampfers aufgehalten hat. Und er trug gelbe Schuhe.«
    Die ganze Zeit sah Buzier ihn herausfordernd an. Er zitterte vor Ungeduld und Wut.
    »Ja, er soll sprechen! Aber er soll bloß die Wahrheit sagen, sonst, ich schwöre Ihnen …«
    »Schweigen Sie! Nun, Le Clinche?«
    Dieser fuhr sich mit der Hand über die Stirn, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.
    »Ich weiß es nicht. Er soll mich in Ruhe lassen.«
    »Sie haben gesehen,

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