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Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Titel: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Süden schwärmen.«
    »Und im Sommer?«
    »Da fischt er auf eigene Rechnung, legt Netze und Hummerkörbe aus.«
    Der Mann saß auf der gleichen Bank wie Maigret, nur am anderen Ende, und der Kommissar konnte ihn in einem Spiegel beobachten.
    Er war untersetzt und breitschultrig. Er war der typische Seemann aus dem Norden, stämmig, rundlich, ein Kopf ohne Hals, rosige Haut und blondes Haar. Wie bei den meisten Fischern waren seine Hände mit Narben und Furunkeln übersät.
    »Trinkt er immer so viel?«
    »Sie trinken ja alle. Aber er besäuft sich vor allem, seit der Junge tot ist. Es hat ihm einen bösen Schock versetzt, die ›Océan‹ wiederzusehen.«
    Der Mann blickte sie jetzt herausfordernd an.
    »Was wollen Sie von mir?« lallte er in Maigrets Richtung.
    »Gar nichts.«
    Alle Matrosen folgten der Szene, ohne aber ihr Dominospiel zu unterbrechen.
    »Aber es muß einmal gesagt werden! Habe ich vielleicht nicht das Recht zu trinken?«
    »Aber ja!«
    »Sagen Sie, daß ich nicht das Recht habe zu trinken«, wiederholte er mit der Hartnäckigkeit des Betrunkenen.
    Der Blick des Kommissars fiel auf den Trauerflor, den er an seiner roten Bluse trug.
    »Also, warum ziehen Sie beide über mich her und reden über mich?«
    Léon bedeutete Maigret, nicht zu antworten und ging zu dem Mann rüber.
    »Hör mal, mach keinen Ärger, Canut. Der Kommissar spricht nicht von dir, sondern von dem Jungen, der sich eine Kugel in den Bauch geschossen hat.«
    »Das geschieht ihm ganz recht! Ist er tot?«
    »Nein. Er kann vielleicht gerettet werden.«
    »Um so schlimmer! Sie sollten alle krepieren!«
    Diese Worte hatten eine große Wirkung. Alle Köpfe drehten sich zu Canut hin. Und dieser mußte es noch einmal, noch lauter aus sich herausschreien:
    »Ja! Alle! Ihr alle miteinander!«
    Léon war besorgt. Er sah seine Gäste mit flehenden Augen an und machte zu Maigret hin eine Geste der Hilflosigkeit.
    »Los! Geh schlafen! Deine Frau wartet auf dich!«
    »Mir doch egal!«
    »Morgen wird es dir so schlecht gehen, daß du die Netze nicht einholen kannst.«
    Canut grinste nur höhnisch. P’tit Louis nutzte die Pause, um Julie zu rufen.
    »Wieviel macht es?«
    »Beide Runden?«
    »Ja. Setz sie auf meine Rechnung. Morgen bekomme ich meinen Vorschuß auf die nächste Fahrt.«
    Er stand auf, und automatisch erhob sich auch der Bretone, der ihm immer wie ein Schatten folgte. P’tit Louis tippte grüßend an seine Mütze und tat es dann noch einmal in Maigrets Richtung.
    »Feiglinge!« brummte Canut, als die beiden Männer an ihm vorübergingen. »Alles Feiglinge!«
    Der Bretone ballte die Fäuste und hätte fast etwas erwidert, aber P’tit Louis zog ihn mit sich fort.
    »Geh schlafen«, sagte Léon noch einmal zu dem Betrunkenen. »Es wird sowieso gleich geschlossen.«
    »Ich gehe, wenn alle gehen. Ich bin soviel wert wie jeder andere, oder nicht?«
    Er starrte Maigret an. Er schien eine Auseinandersetzung zu wollen.
    »Genau wie dieser Dicke dort! Was versteht der schon davon!«
    Er meinte den Kommissar. Léon saß wie auf heißen Kohlen. Die letzten Gäste blieben wartend sitzen, überzeugt davon, daß noch etwas passieren würde.
    »Na, dann will ich doch lieber gehen! Was bin ich schuldig?«
    Er zog ein Lederetui unter seiner Bluse hervor, warf ein paar schmutzige Geldscheine auf den Tisch, erhob sich und öffnete mit Mühe die Tür.
    Er murmelte undeutlich etwas vor sich hin, Flüche oder Drohungen. Draußen preßte er sein Gesicht gegen das Fenster, um Maigret ein letztes Mal anzusehen. Seine Nase hinterließ einen dunklen Fleck auf der beschlagenen Scheibe.
    »Es hat ihm einen Schock versetzt«, seufzte Léon und setzte sich wieder. »Es war sein einziger Sohn. Die anderen Kinder sind alles Mädchen, und die zählen sozusagen nicht.«
    »Was wird hier so geredet?« fragte Maigret.
    »Über den Funker? Sie wissen nichts Genaues, also erfinden sie alles mögliche. Aber allmählich wird es ihnen langweilig.«
    »Was?«
    »Ich weiß nicht. Immer wieder der böse Blick !«
    Maigret spürte, daß ihn jemand intensiv anblickte. Es war der Chefmaschinist, der an dem Tisch gegenüber saß.
    »Ist Ihre Frau nicht mehr eifersüchtig?« fragte er ihn.
    »Wir fahren morgen wieder aus, da möchte ich sie mal sehen, wie sie es fertigbrächte, mich in Yport festzuhalten!«
    »Läuft die ›Océan‹ morgen wieder aus?«
    »Ja, morgen mit der Flut. Wenn Sie glauben, die Reeder würden sie im Hafen vermodern lassen …«
    »Hat man einen Kapitän

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