Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
weil der ganze Körper wie versteinert war.
Diese flüssigen Perlen waren das einzig Lebendige an dem Funker. Alles andere war tot.
Marie Léonnec hatte es nicht bemerkt. Adèle schwatzte munter weiter.
Dann, eine Sekunde später, hatte Maigret eine dunkle Vorahnung. Die auf dem Tisch ruhende Hand hatte sich unmerklich entspannt. Die andere Hand steckte in der Tasche.
Die Lider öffneten sich kaum einen Millimeter, gerade so weit, um ein bißchen sehen zu können. Die Augen waren auf Marie gerichtet.
Der Kommissar erhob sich, und in diesem Augenblick krachte ein Schuß. Alles sprang auf, Stühle kippten um, Leute schrien.
Le Clinche bewegte sich nicht gleich. Nur sein Oberkörper neigte sich unmerklich nach links, und aus seinem offenen Mund kam ein leises Röcheln.
Marie Léonnec, die schwerlich begreifen konnte, was geschehen war, denn man hatte keine Waffe gesehen, warf sich auf ihn, umklammerte seine Knie, drückte seine rechte Hand und drehte sich dann entsetzt um.
»Kommissar! … Was ist …«
Maigret als einziger hatte es geahnt. Le Clinche hatte einen Revolver in seiner Tasche, den er weiß Gott wo aufgetrieben haben mochte, denn am Vormittag bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er ihn noch nicht besessen.
Und er hatte den Schuß in seiner Tasche abgefeuert. Er hatte den Kolben viele lange Minuten umklammert, während Adèle schwatzte und er die Augen schloß, wartete, vielleicht noch zögerte.
Die Kugel mußte in den Bauch oder in die Seite gedrungen sein. Man sah die verbrannte, in Höhe der Hüfte zerfetzte Jacke.
»Einen Arzt! Die Polizei!« schrie jemand.
Ein Mann in Badehose eilte herbei. Er war Arzt und hatte kaum hundert Meter vom Hotel am Strand gelegen.
Le Clinche drohte auf den Boden zu fallen und man stützte ihn. Dann wurde er in den Speisesaal getragen. Marie folgte dem kleinen Zug wie betäubt.
Maigret hatte keine Zeit gehabt, sich um Adèle oder ihren Liebhaber zu kümmern. Als er das Restaurant betrat, sah er sie plötzlich. Sie war leichenblaß, und ihre Zähne schlugen gegen das große Glas, das sie gerade leerte.
Sie hatte sich selbst bedient. Die Flasche lag noch in ihrer Hand. Sie goß sich ein zweites Glas ein.
Der Kommissar kümmerte sich nicht weiter um sie, aber das Bild dieses blassen Gesichtes über der rosa Bluse und dieses Klappern ihrer Zähne gegen das Glas blieben in ihm haften.
Gaston Buzier sah er nirgends. Die Tür in den Speisesaal wurde geschlossen.
»Gehen Sie bitte hinaus!« bat der Wirt seine Gäste. »Und Ruhe bitte! Der Arzt will, daß nicht zuviel Lärm gemacht wird.«
Maigret stieß die Tür auf und sah den Arzt neben Le Clinche knien. Madame Maigret hielt Marie Léonnec zurück, die wie von Sinnen war und durchaus zu dem Verwundeten wollte.
»Polizei«, flüsterte der Kommissar dem Arzt zu.
»Könnten Sie nicht die Damen hinausschicken? Ich muß ihn entkleiden und …«
»Ja.«
»Ich brauche zwei Leute, die mir helfen. Und man sollte schon die Ambulanz rufen.«
Er war immer noch in der Badehose.
»Ist es ernst?«
»Ich kann nichts sagen, bevor ich die Wunde nicht untersucht habe. Und Sie können sich vorstellen …«
Ja, Maigret konnte es sich vorstellen, als er diese entsetzliche Wunde sah, in der Haut- und Stoffetzen klebten.
Die Tische waren schon für das Abendessen gedeckt. Madame Maigret ging ins Freie und zog Marie Léonnec hinter sich her.
Ein junger Mann in Flanellhosen kam heran.
»Erlauben Sie, daß ich helfe? Ich bin Pharmaziestudent …«
Ein leuchtend roter Sonnenstrahl fiel schräg durch ein Fenster und blendete so stark, daß Maigret die Jalousie herunterließ.
»Würden Sie bitte seine Beine hochheben?«
Maigret erinnerte sich daran, was er am Nachmittag zu seiner Frau gesagt hatte, als sie bequem in ihren Liegestühlen lagen und dem schlaksigen jungen Mann nachschauten, der neben der kleineren und lebhafteren Marie Léonnec den Strand entlangspazierte.
»Ein Vogel, den die Katze holen wird.«
Kapitän Fallut war sofort nach der Landung gestorben. Pierre Le Clinche hatte sich lange verzweifelt gewehrt, vielleicht auch noch, als er die Augen geschlossen hatte und seine Hand auf dem Tisch ruhte, während die andere Hand in der Tasche steckte und Adèle vor ihrem Publikum redete und redete.
8.
Der betrunkene Seemann
Kurz vor Mitternacht verließ Maigret das Krankenhaus. Er hatte gewartet, bis Le Clinche, mit einem großen weißen Tuch zugedeckt, aus dem Operationssaal gerollt wurde.
Der Chirurg
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