Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
lag sie quer über dem Bett.
Alle waren so ein bißchen in einer frühmorgendlichen Katerstimmung, nicht nur Fallut, sondern auch die anderen, die durch die Kneipen der Stadt gezogen oder mit der Eisenbahn angereist waren.
Einer nach dem anderen gingen sie jetzt in das Rendez-vous des Terre-Neuvas und tranken ihren Kaffee mit Schuß.
»Auf ein Wiedersehen! … Falls wir wiederkommen!«
Ein langgezogenes Signal der Schiffssirene. Dann zwei weitere. Die Frauen und Kinder eilten nach der letzten Umarmung zur Mole. Der Reeder drückte Fallut die Hand.
Die Trossen waren gekappt. Der Fischdampfer glitt weg vom Kai. Plötzlich bekam es der Schiffsjunge mit der Angst, fing an zu schluchzen, geriet ganz außer sich, wollte an Land springen. Fallut befand sich an derselben Stelle wie jetzt Maigret.
»Halbe Kraft voraus! Hundertfünfzig! Volle Kraft voraus!«
Schlief Adèle noch? Würde sie bei der ersten hohen Welle keine Angst bekommen?
Fallut rührte sich nicht von seinem Platz, der seit so vielen Jahren ihm gehörte. Vor ihm lag das Meer, der Atlantik. Seine Nerven waren äußerst gespannt, denn er wurde sich der Dummheit bewußt, die er begangen hatte. An Land war ihm alles weniger bedenklich erschienen …
»Zwei Strich Backbord!«
Und plötzlich ein Geschrei, die Menge auf der Mole drängte nach vorne. Ein Mann, der den Lademasten hinaufgeklettert war, um den Seinen zu winken, war auf das Deck gestürzt!
»Stop! Zurück! Stop!«
Nichts regte sich in der Kabine. War nicht noch Zeit, die Frau an Land zu setzen?
Boote kamen heran. Das Schiff lag unbeweglich zwischen den beiden Molen. Ein Fischkutter bat, vorbeifahren zu dürfen.
Aber der Mann war verwundet. Man mußte ihn zurücklassen. Man hievte ihn in ein Flachboot.
Die Frauen dort auf der Mole blickten verstört, denn sie waren abergläubisch! Und zu allem Überfluß war da der Schiffsjunge, den man festhalten mußte, damit er nicht ins Wasser sprang, so sehr bangte ihm vor dieser Reise!
»Vorwärts! Halbe Kraft! Volle Kraft!«
Le Clinche nahm Besitz von seinem Reich, zog den Kopfhörer auf und testete seine Geräte. Dann schrieb er:
Meine geliebte Marie ,
acht Uhr morgens. Wir stechen in See. Die Stadt ist schon nicht mehr zu sehen und …
Maigret steckte sich eine neue Pfeife an und stand auf, um mehr von seiner Umgebung zu sehen.
All diese Menschen waren ihm gegenwärtig. Er ließ sie gewissermaßen ihrer Beschäftigung auf diesem Schiff nachgehen, das er mit dem Blick beherrschte.
Erstes Mittagessen in der engen Offiziersmesse: Fallut, sein Erster, der Chefmaschinist und der Funker. Und der Kapitän verkündet, daß er seine Mahlzeiten in Zukunft alleine in seiner Kabine einnimmt.
Das hat es noch nie gegeben! Eine merkwürdige Idee! Keiner errät den Grund dafür.
Maigret, die Hand an die Stirn gepreßt, murmelte:
»Der Schiffsjunge muß dem Kapitän das Essen bringen. Dieser öffnet die Tür nur einen Spalt breit oder versteckt Adèle unter dem Bett, das er zu diesem Zweck angehoben hat.«
Sie essen zu zweit an einer Portion. Beim ersten Mal lacht die Frau noch. Und Fallut überläßt ihr wahrscheinlich fast seinen ganzen Anteil.
Er ist viel zu ernst. Sie macht sich über ihn lustig. Sie schmeichelt ihm … Er läßt sich betören … Er lächelt …
Wird in der Back nicht schon vom bösen Blick gesprochen? Und diskutiert man nicht über den Entschluß des Kapitäns, alleine zu essen? Außerdem hat man noch nie einen Kapitän gesehen, der mit seinem Kabinenschlüssel in der Tasche herumspaziert …
Die beiden Schiffsschrauben rotieren. Der ganze Dampfer vibriert, und dieses Vibrieren wird drei Monate anhalten.
Unten schaufeln Männer wie P’tit Louis acht bis zehn Stunden am Tag Kohlen in den feurigen Schlund, andere überwachen, vor sich hindösend, den Öldruck.
»Drei Tage, das ist die allgemeine Ansicht. Es sind ungefähr drei Tage vergangen, ehe die allgemeine Unruhe auf dem Schiff ausbrach. Und von diesem Augenblick an haben sich die Männer gefragt, ob Fallut nicht verrückt war …«
Warum? Eifersucht? Aber Adèle erklärte, sie habe Le Clinche erst nach dem vierten Tag getroffen.
Bis dahin ist er zu sehr mit seinen neuen Apparaturen beschäftigt. Zu seinem eigenen Vergnügen fängt er Funksprüche auf, testet die Reichweite seines Senders. Und er schreibt, den Kopfhörer übergezogen, seitenlange Briefe an seine Braut, als könnte er sie gleich hinterher in einen Briefkasten werfen.
Drei Tage … Kaum Zeit genug,
Weitere Kostenlose Bücher