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Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Titel: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sich kennenzulernen. Vielleicht hat der Chefmaschinist bei einem Blick durch die Bullaugen die junge Frau entdeckt? Aber er hat nichts davon gesagt!
    Es dauert seine Zeit, bis eine gewisse Atmosphäre an Bord entsteht, und sie wächst mit den Beziehungen der Männer, die durch gemeinsam bestandene Abenteuer immer enger werden. Aber es gibt noch keine Abenteuer! Man hat noch nicht einmal mit dem Fischfang begonnen! Erst müssen sie an der Großen Neufundlandbank sein, dort am anderen Ende des Atlantiks, die sie frühestens in zehn Tagen erreichen werden!
     
    Maigret stand auf der Kommandobrücke, und wenn einer der Männer erwacht wäre, hätte er sich gefragt, was der große Mann, der langsam seine Blicke schweifen ließ, so alleine dort oben tat.
    Ja, was tat er? Er versuchte zu verstehen! Alle Figuren standen an ihrem Platz, jede mit der ihr eigenen Mentalität, jede mit ihren eigenen Gedanken. Aber von diesem Punkt an ließ sich nichts mehr erraten. Da war ein großes Loch. Der Kommissar konnte sich nur noch die Zeugenaussagen ins Gedächtnis rufen.
    »Etwa vom dritten Tag an waren Kapitän Fallut und der Funker einander feindlich gesinnt. Beide trugen einen Revolver in der Tasche. Sie schienen Angst voreinander zu haben …«
    Aber Le Clinche ist noch gar nicht Adèles Liebhaber!
    »Von da an ist der Kapitän wie irre gewesen …«
    Sie befinden sich mitten im Atlantik. Sie haben die Route der Passagierdampfer verlassen. Ganz selten begegnen sie anderen Schiffen, Engländern oder Deutschen, die in ihre Fanggründe fahren.
    Wird Adèle ungeduldig? Beklagt sie sich, weil sie so eingesperrt leben muß?
    » … wie ein Irrer. «
    Alle waren sich darin einig! Und es sah nicht so aus, als genüge eine Adèle, bei einem ausgeglichenen Menschen, einem Mann, der sich sein ganzes Leben lang die Ordnung zur Religion gemacht hatte, eine so totale Veränderung zu bewirken.
    Sie hat ihn noch nicht betrogen! Er hat ihr zwei- oder dreimal gestattet, nachts an Deck spazieren zu gehen, wobei er zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat.
    Warum also benimmt er sich wie ein Irrer ?
    In den Zeugenaussagen hieß es weiter:
    »Er gab den Befehl, in einer Gegend vor Anker zu gehen, wo man seit Menschengedenken noch keinen Kabeljau gefangen hat.«
    Er ist weder nervös noch überspannt und auch kein Choleriker. Er ist ein gewissenhafter Kleinbürger, der eine Zeitlang davon geträumt hat, seine Wirtin, Madame Bernard, zu heiraten und seine Tage in dem schmucken Häuschen in der Rue d’Etretat zu beschließen.
    »Es passierte ein Unfall nach dem anderen.«
    Als man schließlich auf eine Fischbank stößt und guten Fang macht, wird der Fisch falsch gesalzen, so daß er bei der Rückkehr zwangsläufig verdorben sein muß.
    Fallut ist kein Anfänger! Er will sich bald pensionieren lassen! Niemand hat ihm bisher auch nur das geringste vorwerfen können!
    Er ißt weiterhin in seiner Kabine.
    »Er schmollte mit mir«, sagte Adèle. »Tage-, ja wochenlang sprach er kein Wort mit mir. Dann plötzlich überkam es ihn wieder.«
    Eine Gefühlsexplosion. Sie ist da, bei ihm! Er teilt das Bett mit ihr! Und es gelingt ihm wochenlang, sich zu beherrschen, bis die Spannung zu groß wird.
    Würde er so handeln, wenn ihn nur die Eifersucht quälte?
    Der Chefmaschinist streicht lüstern um die Kabine herum, aber er hat nicht den Mut, das Schloß aufzubrechen.
    Schließlich und endlich: Die »Océan« fährt nach Frankreich zurück – der Kabeljau ist versalzen.
    Hat der Kapitän nicht schon vor der Rückfahrt diese Art Testament verfaßt, in dem er erklärt, man solle niemandem die Schuld an seinem Tod geben?
    Er will also sterben! Er will sich umbringen! Niemand an Bord außer ihm kann die Positionen berechnen, und er ist so mit Leib und Seele Seemann, daß er erst sein Schiff in den Hafen zurückbringt.
    Sich umbringen, weil er gegen die Vorschriften verstoßen hat, indem er eine Frau mitnahm? Sich umbringen, weil der falsch gesalzene Fisch unter dem Preis verkauft werden muß? Sich umbringen, weil die Besatzung, erstaunt über sein sonderbares Benehmen, ihn für einen Irren gehalten hat?
    Der vernünftigste, der gewissenhafteste Kapitän in Fécamp?
    Er, dessen Logbücher man als vorbildlich hinstellt? Er, der schon so lange in dem friedlichen Haus von Madame Bernard wohnt?
    Der Dampfer legt an. Alle Männer eilen an Land, stürzen ins Rendez-vous des Terre-Neuvas, wo sie endlich Alkohol trinken können.
    Und alle sind von etwas Geheimnisvollem

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