Maigret bei den Flamen
hätte. Da habe ich sie dann ein bißchen gepackt. Sie hat g e schrien. Wie zufällig kamen gerade ein paar Gendarmen vorbei, ich habe mit der Faust zugeschlagen, und einer von ihnen ging zu Boden …«
»Fünf Jahre?«
»Die hätte ich fast bekommen. Sie stritt ab, daß wir schon vorher etwas miteinander gehabt hatten. Ein paar Kumpel sind gekommen und haben das vor Gericht b e stätigt, aber so richtig hat man ihnen auch nicht g e glaubt. Wenn die Sache mit dem Gendarmen nicht gewesen wäre, der zwei Wochen im Krankenhaus gelegen hat, wäre ich mit einem Jahr davongekommen, vielleicht sogar mit Bewährung …«
Er schnitt sich mit einem Taschenmesser ein Stück Brot ab.
»Wollen Sie nicht einen trinken? Vielleicht fahren wir morgen los. Wir warten nur noch auf Nachricht, ob die Brücke von Namur wieder frei ist.«
»Jetzt sag mir einmal, warum du die Geschichte mit der Frau erfunden hast, die du auf dem Kai gesehen h a ben willst.«
»Ich?«
Er ließ sich Zeit zum Nachdenken und tat, als äße er mit Appetit.
»Überhaupt nichts hast du gesehen, gib es doch zu!«
Maigret bemerkte, wie die Augen seines Gesprächspartners spöttisch aufleuchteten.
»Meinen Sie? Na ja, Sie werden schon recht haben.«
»Wer hat dich aufgefordert, diese Aussage zu machen?«
»Mich aufgefordert?«
Er kicherte und spuckte die Wurstpelle direkt vor sich auf den Tisch.
»Wo hast du Gérard Piedbœuf getroffen?«
»Ah! Schau an …«
Aber er sah sich einem Mann gegenüber, der ebensowenig aus der Ruhe zu bringen war wie er selbst.
»Hat er dir etwas dafür gegeben?«
»Er hat ein paar Runden spendiert.«
Dann plötzlich, mit einem stillen Lachen:
»Nur, das stimmt überhaupt nicht. Ich sage das bloß, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Wenn Sie wollen, daß ich vor Gericht das Gegenteil aussage, dann brauchen Sie mir nur ein Zeichen zu geben …«
»Was hast du denn nun genau gesehen?«
»Sie glauben mir ja doch nicht, wenn ich es Ihnen sage.«
»Sag’s trotzdem!«
»Nun gut, ich habe eine Frau gesehen, die auf jemanden wartete. Dann kam ein Mann, und sie hat sich in seine Arme geworfen …«
»Wer war es?«
»Wie hätte ich das denn erkennen sollen, in der Dunkelheit?«
»Wo warst du?«
»Ich kam aus dem Bistro zurück …«
»Und wohin sind die beiden gegangen? Zu den Flamen?«
»Nein! Sie sind hintenrum gegangen.«
»Was heißt hintenrum?«
»Na, hinten um das Haus … Aber was soll’s! Wenn es Ihnen lieber ist, daß es anders war … Ich bin das g e wohnt, verstehen Sie? Man hat bei meinem Prozeß so viele Geschichten erzählt. Sogar mein Anwalt, der der größte Lügner von allen war.«
»Gehst du ab und zu einen bei den Flamen trinken?«
»Ich? Sie geben mir nichts mehr, unter dem Vorwand, daß ich ihnen einmal die Waage mit der Faust kaputtgehauen hätte. Die wollen doch nur Kunden, die sich vo l laufen lassen, ohne sich zu rühren oder einen Ton zu s a gen.«
»Hat Gérard Piedbœuf mit dir gesprochen?«
»Was habe ich Ihnen denn eben gesagt?«
»Daß er dich aufgefordert hätte, zu sagen …«
»Ja richtig, dann stimmt das auch … Aber eins ist bestimmt wahr, so wahr mir Gott helfe: Aus mir werden Sie nie heraus bekommen, was ich wirklich weiß, denn ich kann Polizisten nicht ausstehen, Sie genauso wenig wie die anderen! Meinetwegen können Sie das dem Richter erzählen. Dann schwöre ich eben, daß Sie mich geschlagen haben, und ich werde die Spuren der Schläge zeigen … Was mich aber nicht hindert, Ihnen ein Gl ä schen Roten anzubieten, wenn Ihnen danach ist …«
Genau in diesem Moment sah Maigret ihm in die Augen und erhob sich plötzlich.
»Zeig mir dein Schiff!« sagte er trocken.
Überraschung? Furcht? Oder bloß Verärgerung? Jedenfalls zog der Mann, der mit vollen Backen kaute, e i ne Grimasse.
»Was wollen Sie denn besichtigen?«
»Einen Augenblick …«
Maigret ging hinaus und kam gleich wieder mit einem Zollbeamten zurück, dessen Ölzeug vom Regen glänzte. Der Schiffer grinste:
»Die Zollkontrolle habe ich schon hinter mir …«
Der Kommissar sprach mit dem Zöllner.
»Sie kennen sich doch aus. Ich nehme an, daß alle Schiffe hier mehr oder minder Schmuggel betreiben …«
»Nicht mehr oder minder!«
»Und wo verstecken sie gewöhnlich die Ware?«
»Das hängt davon ab … Früher verstauten sie sie in wasserdichten Kästen, die sie unter dem Boot festbanden. Aber jetzt ziehen wir immer eine Kette unter dem Kiel durch, so daß das nicht mehr möglich ist. Manchmal ve
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