Maigret bei den Flamen
Um diese Zeit war niemand da, und auch der Kellner nutzte die Gelegenheit, seinen Schriftkram zu erledigen.
Ein lächerliches Detail: Maigret konnte es nicht ausstehen, auf einem Marmortisch schreiben zu müssen, aber es gab keinen anderen.
»Rufen Sie doch nochmal im Hôtel de la Gare an und fragen Sie, ob der Inspektor immer noch nicht aufg e taucht ist.«
Eine undefinierbare schlechte Laune hatte von Maigret Besitz ergriffen, und am meisten ärgerte es ihn, daß er keinen bestimmten Grund dafür finden konnte. Zwei- oder dreimal lehnte er die Stirn gegen die beschlagene Scheibe. Der Himmel klarte ein wenig auf, und die Regentropfen fielen spärlicher. Aber der Kai blieb schla m mig und menschenleer.
Gegen vier Uhr hörte der Kommissar einen Pfiff. Er lief zur Tür und sah einen Schlepper, der zum ersten Mal seit Beginn des Hochwassers dichten Dampf ausstieß.
Die Strömung war immer noch stark. Als der Schlepper, der sich mit seiner schlanken und schnittigen Si l houette gegenüber den Lastkähnen wie ein Vollblüter ausnahm, vom Ufer ablegte, bäumte er sich buchstäblich auf. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde die Strömung ihn mit sich fortreißen.
Ein zweiter Pfiff, diesmal noch gellender. Der Schle p per hielt stand. Hinter ihm spannte sich eine Trosse. Ein erster Lastkahn löste sich schwerfällig von dem Block der wartenden Schiffe und legte sich quer zur Maas, während zwei Männer sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Ruder stemmten.
Vor den Türen der Cafés standen die Gäste in kleinen Gruppen beisammen, um das Manöver zu beobachten. Zwei, drei Kähne nahmen ihrerseits den Kampf auf, b e schrieben einen Halbkreis, und dann, mit einem vor Stolz vibrierenden Pfiff, nahm der Schlepper Fahrt auf und dampfte in Richtung Belgien, während die Kähne hinter ihm Mühe hatten, in gerader Linie zu folgen.
Die »Etoile Polaire« gehörte nicht zu dem Schleppzug »… so daß ich Sie auffordern darf, die gelieferten Möbel wieder zurückzunehmen. Sie stehen in meiner Wohnung am Boulevard Richard-Lenoir zur Abholung bereit … «
Maigret schrieb ungewöhnlich langsam, als wenn se i ne Finger zu plump für die Feder wären, die sie auf das Papier drückten. Das Ergebnis war eine winzige, aber fette Schrift, die von weitem einer Reihe von Tinte n klecksen glich.
»Monsieur Peeters fährt mit dem Motorrad vorbei …« sagte der Kellner, der das Licht anmachte und die Vorhänge neben dem Eingang zuzog.
Es war halb fünf.
»Da gehört Mut dazu, zweihundert Kilometer bei einem solchen Wetter zu fahren! Er ist bis über beide O h ren vollgespritzt.«
»Albert! Das Telefon!« rief die Wirtin.
Maigret unterschrieb seinen Brief und steckte ihn in den Umschlag.
»Für Sie, Herr Kommissar! Aus Paris …«
»Hallo! Hallo! Ja, ich bin’s …«
Maigret versuchte, seine schlechte Laune zu bremsen. Seine Frau war am Apparat und fragte ihn, wann er z u rückkommen würde.
»Hallo … Es ist jemand wegen der Möbel vorbeigekommen …«
»Ich weiß! Ich kümmere mich darum .«
»Da ist auch ein Brief von deinem englischen Kollegen gekommen, der …«
»Ja, Liebes! Das ist nicht wichtig …«
»Ist es da oben kalt bei euch? Zieh dich warm an! Du bist deine Erkältung noch nicht ganz los, und …«
Warum fühlte er sich einer beinahe schmerzhaften Ungeduld ausgeliefert? Es war nur ein unbestimmtes Gefühl: ihm war, als würde er irgend etwas Wichtiges verpassen, während er in dieser Kabine stand und telefonierte.
»Ich bin in drei oder vier Tagen wieder in Paris.«
»Erst?«
»Ja. Ich denk an dich … Bis bald!«
Im Café fragte er nach einem Briefkasten.
»Gleich um die Ecke, vor dem Tabakladen.«
Es war dunkel. Von der Maas sah man nur noch den Widerschein der Lampen. Plötzlich bemerkte der Ko m missar eine Gestalt , die an einem Baumstamm lehnte und die ihm nicht geheuer vorkam. Denn bei diesem Regen und Wind ging wohl niemand nach draußen, nur um frische Luft zu schnappen.
Er warf seinen Brief ein, drehte sich um und sah, wie die Gestalt sich von dem Baumstamm löste. Er ging weiter, und der Unbekannte begann ihm zu folgen.
Dann ging alles sehr rasch. Maigret fuhr herum , und nach einigen schnellen Schritten hatte er den Mann am Kragen gepackt.
»Was machst du hier?«
Er hatte ein bißchen zu kräftig zugepackt. Das Gesicht des Unbekannten lief dunkelrot an. Maigret lockerte se i nen Griff.
»Red schon!«
Irgend etwas irritierte ihn, er wußte aber nicht, was. Dieser
Weitere Kostenlose Bücher