Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes
entziehen. Im Gegenteil. Wenn er ein Taxi nahm, wartete er sogar, bis auch der Kommissar einen Wagen angehalten hatte.
Crosby war am 22. Oktober beerdigt worden. Am 23. um elf Uhr abends, beendete Radek sein Nachtessen in einem Restaurant unweit der Champs-Elysées.
Gefolgt von Maigret, verließ er um halb zwölf das Lokal, suchte sich sorgfältig ein komfortables Taxi aus und nannte mit leiser Stimme eine Adresse.
Gleich darauf fuhren zwei Autos hintereinander in Richtung Auteuil. Und in dem breiten Gesicht des Kriminalbeamten hätte man vergeblich nach einem Zeichen der Erregung, Ungeduld oder Erschöpfung gesucht, wiewohl er seit vier Tagen nicht geschlafen hatte.
Nur seine Augen blickten etwas starrer als üblich.
Das erste Taxi folgte den Quais bis zum Pont Mirabeau, überquerte die Seine und holperte den Weg entlang, der zum ›Citanguette‹ führte.
Hundert Meter vor dem Bistro ließ Radek den Wagen anhalten, wechselte mit dem Fahrer ein paar Worte, marschierte dann, die Hände in den Taschen, zu Fuß bis zur Laderampe gegenüber dem Wirtshaus.
Dort setzte er sich auf einen Anlegepfosten, zündete eine Zigarette an, vergewisserte sich, daß Maigret ihm gefolgt war, und rührte sich nicht mehr.
Um Mitternacht war noch nichts passiert. Im Bistro saßen drei Araber und würfelten. In einer Ecke döste ein Betrunkener. Der Wirt spülte seine Gläser. Im Obergeschoß brannte kein Licht.
Fünf Minuten nach zwölf näherte sich ein Taxi dem Flußufer entlang und blieb vor dem Bistrofenster stehen. Eine weibliche Gestalt stieg aus, zögerte und betrat dann hastig das Lokal.
Spöttischer und zugleich neugieriger denn je forschten Radeks Augen in den Zügen des Kommissars. Die Frau stand im vollen Licht der nackten Glühbirne. Sie trug einen schwarzen Mantel mit einem hohen dunklen Pelzkragen. Dennoch handelte es sich eindeutig um Ellen Crosby.
Über die Theke gebeugt, sprach sie leise mit dem Wirt. Die Araber hatten zu würfeln aufgehört und beobachteten sie gespannt.
Von außen konnte man nichts hören, aber die Verblüffung des Wirts, die Verlegenheit der Amerikanerin waren unverkennbar.
Sekunden später schritt der Mann auf die Treppe zu, die hinter seiner Theke nach oben führte. Sie folgte ihm. Dann leuchtete oben ein Fenster auf, das Fenster des Zimmers, in dem Joseph Heurtin nach seiner Flucht aus der Santé geschlafen hatte.
Als der Wirt wieder herunterkam, war er allein. Die Araber bestürmten ihn mit Fragen. Und er antwortete mit einem Schulterzucken, das wohl bedeuten sollte:
›Ich weiß so wenig wie ihr! Was geht es uns auch an …?‹
Im Obergeschoß gab es keine Fensterläden. Die Vorhänge waren dünn. Man konnte das Kommen und Gehen der Amerikanerin sozusagen lückenlos verfolgen.
»Zigarette, Kommissar?«
Maigret antwortete nicht. Die junge Frau war jetzt ans Bett getreten. Sie zog die Decken und Leintücher weg.
Man sah sie etwas Unförmiges, Schweres hochzerren. Danach vertiefte sie sich in irgendeine sonderbare Tätigkeit, wurde zusehends fiebriger, näherte sich, wie von einer plötzlichen Unruhe getrieben, dem Fenster.
»Man hat beinahe das Gefühl, daß sie es auf die Matratze abgesehen hat, nicht wahr? Wenn ich mich nicht sehr täusche, ist sie im Begriff, das Ding aufzutrennen … Komische Beschäftigung für eine Frau, die immer eine Zofe gehabt hat …«
Die beiden Männer waren keine fünf Meter voneinander entfernt. Eine Viertelstunde verstrich.
»Es wird immer komplizierter, wie?«
Die Stimme des Tschechen verriet seine wachsende Ungeduld. Maigret sagte nichts, tat nichts.
Es war kurz nach halb eins, als Ellen Crosby wieder im Schankraum auftauchte, einen Geldschein auf die Theke warf, beim Hinausgehen ihren Pelzkragen hochklappte und auf das Taxi zulief, das vor dem Bistro gewartet hatte.
»Folgen wir ihr, Kommissar?«
Die drei Taxis fuhren eins nach dem anderen an. Aber Madame Crosby kehrte nicht nach Paris zurück. Eine halbe Stunde später waren sie in Saint-Cloud, und sie ließ das Taxi gegenüber der Villa warten.
Sie wirkte klein und verloren, wie sie sich da auf der anderen Straßenseite entlangbewegte – sehr klein und sehr unsicher.
Unvermittelt überquerte sie die Straße, suchte in ihrer Handtasche nach einem Schlüssel und verschwand kurz darauf im Haus, während das Gartentor mit einem gedämpften Klicken ins Schloß fiel.
In der Villa blieb es dunkel. Das einzige Zeichen von Leben war ein schwacher Lichtschein, der in den Zimmern im
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