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Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Titel: Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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    Und jetzt stellen Sie sich vor, was passiert, wenn noch jemand ermordet wird! Was würde ich sagen? Was würde ich tun? … Ich habe Madame Crosby ungehindert wegfahren lassen. Sie selbst, Radek, kann man unmöglich der Tat verdächtigen, da Sie ja keinen Schritt von meiner Seite gewichen sind …
    Wer könnte überhaupt mit Sicherheit sagen, welcher von uns beiden den andern beschattet? … Beschatten Sie mich, oder beschatte ich Sie?«
    Er schien mit sich selbst zu sprechen. Sie waren im ersten Stock angelangt, und Maigret durchquerte das Boudoir, betrat das Zimmer, wo Madame Henderson umgekommen war.
    »Treten Sie ein, Radek. Ich nehme an, es stört Sie nicht zu wissen, daß hier zwei Frauen ermordet worden sind … Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, daß das Messer nie gefunden wurde. Man nahm an, Heurtin habe es auf der Flucht vom Tatort in die Seine geworfen.«
    Maigret setzte sich auf die Bettkante, genau an die Stelle, wo man die Leiche der Amerikanerin gefunden hatte.
    »Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube? … Nun, der Mörder hat dieses Messer schlicht und einfach hier versteckt. Aber er hat es gut versteckt, so gut, daß wir es nirgends finden konnten … Moment! Da fällt mir ein! … Erinnern Sie sich an den Gegenstand, den Madame Crosby eben bei sich hatte? … Dreißig Zentimeter lang. Einige Zentimeter breit. Genau so lang und so breit wie ein handlicher Dolch … Sie hatten recht, Radek, die Geschichte ist furchtbar kompliziert … Aber … Hallo! …«
    Er bückte sich, betrachtete das gebohnerte Parkett, auf dem man ziemlich deutliche Fußspuren erkennen konnte. Spuren eines dünnen Absatzes, eines weiblichen Schuhs.
    »Haben Sie gute Augen? … Ja? … Dann helfen Sie mir! Versuchen Sie, diesen Spuren zu folgen. Wer weiß, vielleicht erfahren wir so, warum Madame Crosby heute nacht hierhergekommen ist …«
    Radek beobachtete Maigret mit der unschlüssigen Miene eines Mannes, der nicht recht weiß, welche Rolle ihm zugedacht worden ist. Doch das Gesicht des Kommissars blieb ausdruckslos.
    »Die Spuren führen uns in das Zimmer der Gesellschafterin, ja? … Und weiter? … Bücken Sie sich, mein Bester! Sie wiegen ja noch keine hundert Kilo. Sehen Sie? Die Abdrücke enden vor dem Schrank dort! Ein Kleiderschrank. Verschlossen? … Nein! Warten Sie, öffnen Sie noch nicht. Sie sprachen doch von einer Leiche, nein? … Wie bitte? Wenn nun wirklich eine da drin läge …?«
    Radek zündete eine Zigarette an. Seine Finger zitterten.
    »Los! Früher oder später müssen wir ihn ja doch öffnen. Vorwärts, alter Junge, machen Sie auf!«
    Maigret rückte sich vor einem Spiegel seine Krawatte zurecht, ließ jedoch seinen Begleiter nicht aus den Augen.
    »Nur zu!«
    Die Schranktür ging auf.
    »Eine Leiche? Ja?«
    Radek war drei Schritte zurückgewichen. Fassungslos starrte er auf die blonde junge Frau, die jetzt etwas steif, aber keineswegs erschrocken aus ihrem Versteck trat.
    Es war Edna Reichberg. Ihre Augen wanderten zwischen Maigret und dem Tschechen hin und her, als erwartete sie eine Erklärung. Sie zeigte sich nicht im geringsten befangen.
    Oder höchstens so befangen wie jemand, der eine ungewohnte Rolle spielt.
    Maigret hatte sich, ohne sie zu beachten, zu Radek gewandt, der sich bemühte, seine Fassung wiederzuerlangen.
    »Also, wie finden Sie das? Da machen wir uns auf eine Leiche gefaßt – oder besser gesagt, Sie bereiten mich schonend auf eine solche vor –, und was passiert? Wir finden ein reizendes und quicklebendiges junges Mädchen …«
    Auch Edna sah jetzt den Tschechen an.
    »Was sagen Sie jetzt, Radek?« fuhr Maigret gutgelaunt fort.
    Schweigen.
    »Glaubst du immer noch, daß ich nichts begriffen habe? … Verzeihung, sagtest du etwas?«
    In diesem Augenblick öffnete die Schwedin, die den Mann nicht aus den Augen gelassen hatte, den Mund, doch der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken.
    Der Kommissar schaute wieder in den Spiegel, fuhr sich mit der Hand glättend über das Haar. Da zog Radek einen Revolver aus der Tasche, riß ihn hoch, genau in dem Augenblick, als das junge Mädchen vergeblich zu schreien versuchte.
    Was passierte, war wunderbar und komisch zugleich. Man hörte ein leises metallisches Klicken wie aus einer Spielzeugpistole. Kein Schuß ertönte. Radek drückte noch einmal ab.
    Und dann ging alles so schnell, daß Edna nicht mehr folgen konnte. Eben noch hatte Maigret breit und behäbig vor dem Spiegel gestanden. In der nächsten Sekunde warf er sich mit

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