Maigret und das Schattenspiel
-Tablett mit zahlreichen Visitenkarten.
Der Tote lag schon im Sarg, der ganz mit Blumen zugedeckt war. In einer Ecke stand ein hochgewachsener junger Mann in Trauerkleidung, der sehr distinguiert aussah und Maigret mit einem leichten Kopfnicken grüßte.
Ihm gegenüber kniete eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, mit gewöhnlichen Gesichtszügen und gekleidet wie eine Bäuerin im Sonntagsstaat, neben dem Sarg.
Der Kommissar ging auf den jungen Mann zu.
»Ist Madame Couchet zu sprechen?«
»Ich werde meine Schwester fragen, ob sie Sie empfangen kann. Sie sind Monsieur …?«
»Maigret! Der Kommissar, der mit der Untersuchung beauftragt ist …«
Die Bäuerin blieb an ihrem Platz. Kurz darauf kam der junge Mann zurück und führte den Besucher durch die Wohnung.
Abgesehen von dem Duft der Blumen, der alles beherrschte, hatten die Zimmer ihren Charakter nicht verändert. Es war eine geschmackvolle Wohnung im Stil des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, wie die meisten Wohnungen am Boulevard Haussmann. Große Räume; die Decken und Türen ein bißchen zu reich verziert.
Überall Stilmöbel. Im Salon klingelte leise ein riesiger Kronleuchter, wenn man durch das Zimmer ging.
Madame Couchet saß dort mit drei weiteren Personen, die sie Maigret vorstellte. Zunächst der junge Mann in Trauerkleidung:
»Mein Bruder, Henry Dormoy, Rechtsanwalt …«
Dann ein älterer Herr:
»Oberst Dormoy, mein Onkel …«
Eine Dame schließlich, mit feinem silbrigem Haar:
»Meine Mutter …«
Alle sahen in ihrer Trauerkleidung äußerst distinguiert aus. Auf dem Tisch war das Teeservice noch nicht abgeräumt, und auch etwas Toast und Kuchen stand noch herum.
»Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen …«
»Eine Frage, wenn Sie erlauben. Die Dame, die neben dem Sarg kniete …«
»Die Schwester meines Mannes«, sagte Madame Couchet. »Sie ist heute morgen aus Saint-Amand gekommen …«
Maigret lächelte nicht. Aber er verstand. Es war ihm klar, daß man wenig Wert darauf legte, die Angehörigen der Familie Couchet in bäuerlicher oder kleinbürgerlicher Kleidung auftauchen zu sehen.
Es gab die Verwandtschaft des Mannes, und es gab die Verwandtschaft der Familie Dormoy.
Die Familie Dormoy war elegant, diskret. Alle waren bereits in Schwarz gekleidet.
Von der Familie Couchet war bisher nur diese Gevatterin eingetroffen, deren Korsett unter den Armen spannte.
»Könnte ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen, Madame?«
Sie entschuldigte sich bei ihrer Verwandtschaft, die den Salon verlassen wollte.
»Bleibt doch sitzen, bitte … Wir gehen in das gelbe Boudoir …«
Sie hatte geweint, daran bestand kein Zweifel. Aber sie hatte Puder aufgelegt, und es war kaum noch zu sehen, daß ihre Lider ein wenig gerötet waren. Die Erschöpfung in ihrer Stimme war unverkennbar.
»Haben Sie heute unerwarteten Besuch bekommen?«
Sie hob verärgert den Kopf.
»Woher wissen Sie …? Ja, am frühen Nachmittag ist mein Stiefsohn gekommen …«
»Sie kannten ihn bereits?«
»Kaum. Er pflegte meinen Mann im Büro aufzusuchen. Einmal sind wir uns allerdings im Theater begegnet, und Raymond hat uns miteinander bekannt gemacht …«
»Was war der Zweck seines Besuchs?«
Sie wandte den Kopf geniert zur Seite.
»Er wollte wissen, ob man ein Testament gefunden hätte … Er hat mich auch gefragt, wer mein Rechtsberater sei, damit er sich wegen der Formalitäten an ihn wenden könne …«
Sie seufzte und versuchte alle trivialen Einzelheiten zu entschuldigen.
»Das ist sein gutes Recht. Ich glaube, die Hälfte des Vermögens steht ihm zu, und ich habe nicht die Absicht, ihm das vorzuenthalten …«
»Erlauben Sie mir einige indiskrete Fragen? … Als Sie Couchet heirateten, war er da schon reich?«
»Ja … Nicht so vermögend wie jetzt, aber seine Geschäfte begannen aufzublühen …«
»Eine Liebesheirat?«
Ein verschleiertes Lächeln.
»Wenn Sie so wollen, ja. Wir haben uns in Dinard kennengelernt. Drei Wochen später fragte er mich, ob ich bereit sei, seine Frau zu werden. Meine Eltern haben Erkundigungen über ihn eingezogen …«
»Waren Sie glücklich?«
Er sah ihr in die Augen und brauchte die Antwort nicht mehr abzuwarten. Statt dessen murmelte er selbst:
»Da war ein gewisser Altersunterschied … Couchet hatte seine Firma … Kurzum, zwischen Ihnen gab es keine besonders große Intimität. So war es doch? Sie kümmerten sich um das Haus … Sie lebten Ihr Leben, und er das seine …«
»Ich habe ihm nie
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