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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Vorwürfe gemacht!« sagte sie. »Er war ein sehr vitaler Mann, und er brauchte ein abwechslungsreiches Leben. Ich wollte ihn nicht zurückhalten …«
    »Waren Sie nicht eifersüchtig?«
    »Im Anfang schon. Später habe ich mich daran gewöhnt. Ich glaube, er hatte mich wirklich sehr gern …«
    Sie sah recht gut aus, aber eher unauffällig, ohne Schwung. Etwas ausdruckslose Gesichtszüge. Eine weiche, mollige Figur; Kleider von schlichter Eleganz. Zweifellos verstand sie es, ihren Freundinnen den Tee in dem angenehm geheizten, komfortablen Salon als charmante Gastgeberin zu servieren.
    »Sprach Ihr Mann häufig von seiner ersten Frau?«
    Ihre Pupillen verengten sich. Sie versuchte, ihren Ärger zu verbergen, aber sie begriff, daß Maigret sich nicht täuschen ließ.
    »Es steht mir nicht zu, über sie …« begann sie.
    »Verzeihen Sie, aber angesichts der Umstände des Todes ist es keine Frage des Taktes …«
    »Haben Sie etwa den Verdacht …?«
    »Ich verdächtige niemanden. Ich versuche, das Leben Ihres Mannes zu rekonstruieren, seine Umgebung, seine Gesten und Handlungen an seinem letzten Abend. Wußten Sie, daß diese Frau in demselben Haus wohnt, in dem Couchet seine Büros hatte?«
    »Ja! Er hat es mir erzählt …«
    »Wie sprach er von ihr?«
    »Er war ihr böse. Aber dann schämte er sich wegen dieses Gefühls und erklärte, im Grunde sei sie eine unglückliche Frau …«
    »Warum unglücklich?«
    »Weil nichts sie zufriedenstellen konnte. Außerdem …«
    »Außerdem?«
    »Sie können sich denken, was ich sagen will. Sie ist ziemlich selbstsüchtig … Im Grunde hatte sie Raymond verlassen, weil er nicht genug Geld verdiente. Und ihn jetzt als reichen Mann wiederzutreffen … während sie selbst die Frau eines kleinen Beamten ist!«
    »Hat sie versucht, ihn …«
    »Nein. Ich glaube nicht, daß sie ihn jemals um Geld gebeten hat. Allerdings hätte mein Mann mir davon aber auch nichts erzählt. Ich weiß nur, daß es für ihn eine Qual war, ihr an der Place des Vosges zu begegnen. Ich glaube, sie legte es darauf an, ihm über den Weg zu laufen. Sie sagte nichts, aber sie sah ihn mit vorwurfsvollem Blick an …«
    Der Kommissar konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er sich diese Begegnungen in der Toreinfahrt vorstellte: Couchet, der aus dem Wagen stieg, frisch und mit rosigem Gesicht, und Madame Martin, verkrampft, mit ihren schwarzen Handschuhen, ihrem Regenschirm und ihrer Handtasche, mit haßerfülltem Gesicht …
    »Ist das alles, was Sie wissen?«
    »Er wäre gern mit dem Betrieb umgezogen, aber es ist nicht einfach, in Paris ein Laboratorium zu finden …«
    »Und Sie sind sicher, daß Ihr Mann keine Feinde hatte?«
    »Absolut sicher! Alle mochten ihn. Er war so gutmütig, daß er sich beinahe lächerlich machte. Er gab das Geld nicht aus: er warf es geradezu um sich. Und wenn man ihm deswegen Vorhaltungen machte, antwortete er, er hätte lange genug jeden Sou zweimal umdrehen müssen und könne jetzt endlich aus dem Vollen schöpfen …«
    »Besuchte er Ihre Verwandten oft?«
    »Sehr wenig. Das ist nicht die gleiche Mentalität, nicht wahr? Und auch nicht der gleiche Geschmack …«
    Maigret konnte sich Couchet tatsächlich nur schwer zusammen mit dem jungen Anwalt, dem Obersten und der Mutter mit den würdevollen Gesten vorstellen.
    Das alles war nur zu verständlich.
    Ein Sanguiniker, kräftig, ungehobelt, der mit Nichts angefangen und sich dreißig Jahre lang durchgeschlagen hatte, um sein Glück zu machen …
    Und er wurde reich. In Dinard standen ihm endlich die Türen zu einer Welt offen, die ihm bislang stets verschlossen geblieben war. Eine junge Dame, aus den besten Kreisen … Tee und Biskuits, Tennis, Landpartien …
    Er heiratete sie! Um sich zu beweisen, daß er von nun an alles haben konnte! Um ein Heim zu besitzen, wie er es bisher immer nur von außen gesehen hatte!
    Und er heiratete sie, weil dieses kluge und wohlerzogene junge Mädchen ihn beeindruckte …
    Und dann bezog er die Wohnung am Boulevard Haussmann, mit ihrer äußerst traditionellen Einrichtung …
    Nur hielt es ihn nicht zu Hause, er brauchte Bewegung, wollte andere Leute sehen, sich mit ihnen unterhalten, ohne ständig auf den guten Ton achten zu müssen … Die Restaurants, die Bars …
    Und die Frauen!
    Gewiß, er liebte seine Frau. Er bewunderte sie. Er respektierte sie. Sie imponierte ihm!
    Aber gerade weil sie ihm imponierte, brauchte er gewöhnliche Gören wie Nine, um sich zu entspannen.
    Madame

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