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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Abschieds ein Schimpfwort zu.
    »Wollten Sie zu mir?« rief er Maigret von weitem zu.
    »Nein! Ich wollte zu …«
    Nine kam verlegen näher und fragte sich, ob sie dem Kommissar die Hand hinstrecken sollte.
    »Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen …«
    »Nicht hier … Wir dürfen uns hier im Cabaret mit niemandem treffen … Außer abends, denn das bringt Eintrittsgeld …«
    Sie setzten sich an einen kleinen runden Tisch in einer Bar nebenan.
    »Man hat Couchets Testament gefunden … Er hat sein ganzes Vermögen drei Frauen vermacht …«
    Sie sah ihn erstaunt an, ohne die Wahrheit zu erraten.
    »Zunächst seiner ersten Frau, obwohl sie wieder verheiratet ist … Dann seiner zweiten … Und dann Ihnen …«
    Sie hielt den Blick auf Maigret gerichtet, der sah, wie die Pupillen sich weiteten und gleich darauf trübten.
    Und schließlich schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte.
    8
    Vierzig Fieber
    E
    r war herzkrank. Er wußte es.«
    Nine nahm einen Schluck vom rubinroten Aperitif.
    »Das war der Grund, warum er sich schonte. Er sagte, er hätte genug gearbeitet und es wäre Zeit für ihn, das Leben zu genießen …«
    »Sprach er manchmal vom Tod?«
    »Oft! Aber nicht von … von solch einem Tod! Er dachte an seine Herzkrankheit …«
    Sie saßen in einer dieser kleinen Bars, in denen nur Stammgäste verkehren. Der Inhaber beäugte Maigret heimlich, als hielte er ihn für einen Bourgeois, der auf ein amouröses Abenteuer aus ist. An der Theke diskutierte man über das Pferderennen vom Nachmittag.
    »War er traurig?«
    »Das ist schwer zu erklären! Er war nicht so wie andere Männer. Ein Beispiel: Wir waren im Theater oder sonstwo. Er amüsierte sich. Plötzlich, ohne jeden Grund, lachte er laut auf und sagte:
    ›Ein Sch…leben, was, Nine?‹«
    »Kümmerte er sich um seinen Sohn?«
    »Nein …«
    »Sprach er von ihm?«
    »So gut wie nie! Höchstens, wenn Roger ihn wieder besucht hatte, um ihn anzupumpen.«
    »Und was sagte er dann?«
    »Er seufzte: ›Was für ein armer Irrer!‹«
    Maigret fand seinen Eindruck bestätigt: Aus irgendeinem Grunde hatte Couchet nicht die geringste Zuneigung zu seinem Sohn empfunden. Es schien sogar, als hätte ihn der junge Mann angewidert. So angewidert, daß Couchet nicht einmal den Versuch unternahm, ihn aus der Patsche zu ziehen!
    Denn er hatte ihm nie die Leviten gelesen. Und er gab ihm Geld, um ihn loszuwerden, oder aus Mitleid.
    »Garçon! Was bekommen Sie?«
    »Vier Francs sechzig!«
    Nine verließ das Bistro mit ihm, und sie blieben einen Augenblick auf dem Bürgersteig der Rue Fontaine stehen.
    »Wo wohnen Sie jetzt?«
    »Rue Lepic, im ersten Hotel auf der linken Seite. Ich habe noch gar nicht nachgesehen, wie es heißt. Aber es ist einigermaßen sauber …«
    »Wenn Sie erst einmal reich sind, können Sie …«
    Sie lächelte tapfer.
    »Sie wissen ganz genau, daß ich niemals reich sein werde! Ich bin nun einmal nicht der Typ dafür …«
    Das Merkwürdige war, daß Maigret genau den gleichen Eindruck hatte. Nine war nicht geschaffen dazu, irgendwann einmal reich zu werden! Er hätte nicht erklären können, warum.
    »Ich begleite Sie noch bis zur Place Pigalle. Von da aus fahre ich mit der Straßenbahn …«
    Sie gingen langsam, er massig und schwer und sie ganz schmächtig neben den breiten Schultern ihres Begleiters.
    »Wenn Sie wüßten, wie mich das fertigmacht, allein zu sein! Glücklicherweise gibt es das Cabaret, mit zwei Proben täglich, bis die neue Revue steht …«
    Für jeden Schritt Maigrets mußte sie zwei machen, so daß sie beinahe rannte. An der Ecke der Rue Pigalle blieb sie plötzlich stehen, während der Kommissar die Stirn runzelte und zwischen den Zähnen hervorstieß:
    »Dieser Idiot!«
    Dabei konnte man gar nichts sehen. Vor dem Hotel Pigalle drängte sich eine Menschenmenge, etwa vierzig Personen. Ein Polizist, der im Hoteleingang stand, versuchte die Leute zum Weitergehen zu bewegen.
    Das war alles! Aber es herrschte diese besondere Atmosphäre, diese Stille, die auf der Straße nur dann eintritt, wenn etwas Schreckliches passiert ist.
    »Was ist los?« stammelte Nine. »Vor meinem Hotel!«
    »Nein! Das ist nichts! Gehen Sie nach Hause …«
    »Aber … was soll …«
    »Gehen Sie nach Hause!« befahl er barsch.
    Und sie gehorchte, eingeschüchtert, während der Kommissar sich einen Weg durch die Menge bahnte. Er stürmte vorwärts wie ein Widder. Einige Frauen beschimpften ihn. Der Polizist erkannte ihn und hielt ihm die Tür

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