Maigret und das Verbrechen in Holland
Ein Grundsatz: sich nicht durch psychologische Erwägungen von der Wahrheit abbringen lassen, bis zum Schluß den Indizien nachg e hen …«
Es war unmöglich herauszufinden, ob er scherzte oder es ernst meinte.
»Wir haben nun aber eine Mütze und einen Zigarre n stummel! Jemand hat sie hierhergebracht oder in das Haus geworfen.«
Madame Popinga seufzte vor sich hin:
»Ich kann nicht glauben, daß Oosting …«
Und plötzlich hob sie den Kopf und sagte:
»Da fällt mir etwas ein, das ich vergessen hatte …«
Aber sie schwieg wieder, als ob sie fürchtete, zuviel g e sagt zu haben, als ob sie vor den Konsequenzen ihrer Worte erschräke.
»Reden Sie!«
»Nein … Es ist nicht so wichtig.«
»Ich bitte Sie!«
»Wenn Conrad Seehunde jagte auf den Sandbänken von Workum …«
»Ja … Und?«
»War Beetje dabei, denn sie jagt auch. Hier in Ho l land haben die jungen Mädchen viel Freiheiten.«
»Übernachteten sie unterwegs?«
»Immer ein- oder zweimal.«
Sie nahm ihren Kopf in beide Hände und seufzte, wobei sie eine äußerst ungeduldige Handbewegung machte:
»Nein! Ich will nicht mehr dran denken! Es ist zu schrecklich! … Zu schrecklich! …«
Diesmal fing sie an zu schluchzen, zuerst leise, dann immer heftiger, bis Any die Hände auf die Schultern i h rer Schwester legte und sie sanft nach nebenan schob.
7
Ein Mittagessen im Hotel Van Hasselt
A ls Maigret ins Hotel kam, merkte er, daß etwas. Ungewöhnliches im Gang war. Am Tag zuvor hatte er am Tisch neben Jean Duclos zu Abend gegessen.
Jetzt lagen drei Gedecke auf dem runden Tisch, der in der Mitte des Saales stand. Das Tischtuch, an dem man noch die Falten vom Zusammenlegen sah, war blüte n weiß. Schließlich gab es drei Gläser für jeden Gast, was in Holland nur bei einem Festessen üblich ist.
Schon an der Tür wurde der Kommissar von Inspe k tor Pijpekamp begrüßt, der mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging und lachte wie jemand, dem eine Überr a schung gelungen ist.
Er hatte seinen besten Anzug an! Er trug einen acht Zentimeter hohen steifen Kragen! Ein Jackett! Er war frisch rasiert und mußte direkt vom Friseur kommen, denn er roch noch nach Veilchenwasser.
Jean Duclos stand im Vergleich dazu etwas farblos hinter ihm und schaute gelangweilt.
»Sie werden mich entschuldigen, lieber Kollege. Ich hä t te es Ihnen heute früh sagen sollen. Ich wollte Sie zu mir nach Hause einladen, aber ich wohne in Groningen und bin Junggeselle. Doch habe ich mir erlaubt, Sie hier zum Mi t tagessen einzuladen … Oh, nur ein bescheidenes E s sen.«
Bei den letzten Worten schaute er auf die Tafel und wartete sichtlich auf Maigrets Protest.
Der kam aber nicht.
»Ich habe mir gedacht, da der Professor ein Land s mann von Ihnen ist, wäre es für Sie nett …«
»Sehr gut, sehr gut«, sagte der Kommissar. »Erlauben Sie, daß ich mir die Hände wasche?«
Er tat es langsam und mürrisch in dem kleinen Waschraum nebenan. Die Küche war in der Nähe, und er hörte ein geschäftiges Rumoren, das Klappern von Tellern und Töpfen.
Als er in den Saal zurückkam, goß Pijpekamp persö n lich Portwein in die Gläser und murmelte mit entzüc k tem, bescheidenem Lächeln:
»Wie in Frankreich, nicht wahr? Prosit! Auf Ihr Wohl, mein lieber Kollege!«
Er war rührend aufmerksam. Er bemühte sich um e i ne gewählte Aussprache, wollte sich von Kopf bis Fuß als ein Mann von Welt erweisen.
»Ich hätte Sie schon gestern einladen sollen. Aber di e se Geschichte hat mich so – wie sagen Sie? – erschüttert … Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Nichts!«
In den Augen des Holländers blitzte es, und Maigret dachte:
›Aha, mein Bürschchen, du hast einen Sieg in der T a sche und wirst ihn mir als Nachtisch servieren, falls du bis dahin die Geduld nicht verlierst …‹
Er täuschte sich nicht. Zuerst wurde Tomatensuppe gereicht, zugleich ein Saint-Emilion, der für Expor t zwecke so gepanscht worden war, daß einem übel we r den konnte.
»Auf Ihr Wohl!«
Guter Pijpekamp! Er tat sein möglichstes und sogar mehr als das. Und Maigret schien es gar nicht zu beme r ken! Er würdigte es einfach nicht!
»In Holland trinkt man nie etwas zum Essen. Erst danach. Auf den großen Abendgesellschaften wird zur Zigarre ein Gläschen Wein serviert. Man stellt auch kein Brot auf den Tisch.«
Und er schielte zu dem Brotkorb, den er bestellt ha t te. Und an Stelle des Nationalgetränks Genever hatte er sogar Portwein gewählt!
Konnte man es besser machen? Sein
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