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Maigret und das Verbrechen in Holland

Maigret und das Verbrechen in Holland

Titel: Maigret und das Verbrechen in Holland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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belegt.
    »Das genügt!« brummte Maigret. »Ich kenne das: ›Es gibt Ausnahmen, Kranke oder Unangepaßte … Sie st o ßen auf unüberwindliche Hindernisse … Sie werden von beiden Seiten abgelehnt und werden kriminell …‹ So e t was wollten Sie doch sagen, oder? Das ist nichts Neues. Folgerung: ›Keine Gefängnisse mehr, sondern Umerzi e hungszentren, Krankenhäuser, Sanatorien, Kl i niken.‹«
    Duclos war ärgerlich und antwortete nicht.
    »Kurz, das haben Sie in einer Dreiviertelstunde mit einigen schlagenden Beispielen erklärt. Sie haben Lo m broso, Freud und Konsorten zitiert.«
    Er schaute auf seine Uhr und wandte sich vor allem an die erste Stuhlreihe.
    »Ich bitte Sie, sich noch ein paar Augenblicke zu g e dulden.«
    Genau in diesem Augenblick fing eins der Kinder der Wienands an zu weinen. Und seine nervöse Mutter schüttelte es, um es zu beruhigen. Als Wienands sah, daß sie nichts erreichte, nahm er das Kind auf die Knie, streichelte es liebevoll und kniff es dann in den Arm, um es zum Schweigen zu bringen.
    Man mußte den leeren Stuhl zwischen Any und Bee t je betrachten, um sich daran zu erinnern, daß es sich um ein ernstes Geschehen handelte! Und noch etwas! War es überhaupt verständlich, daß Beetje, mit ihrem frischen, aber banalen Gesicht, eine Ehe durcheinanderbringen konnte?
    Nur eins an ihr war anziehend, und es war die Hex e rei dieser Inszenierung, daß sie die reine Wahrheit he r vorhob, die Ereignisse auf ihren unmittelbaren Anlaß zurückführte: auf zwei schöne Brüste, die unter der Se i de noch verführerischer waren, die Brüste einer Neu n zehnjährigen, die sich unter der Bluse kaum bewegten, gerade soviel, um noch lebendiger zu wirken.
    Etwas weiter weg saß Madame Popinga, die auch mit neunzehn Jahren keinen solchen Busen gehabt hatte, Madame Popinga, mit ihren zugeknöpften, dunklen Kleidern, geschmackvoll, aber ohne jede sinnliche A n ziehungskraft.
    Daneben Any, spitz, häßlich, flachbusig, aber rätse l haft.
    Popinga war Beetje begegnet, ein lebenslustiger P o pinga, ein Popinga, der so gern alles Schöne genießen wollte! Und er hatte nicht Beetjes Gesicht gesehen, ihre blauen Augen, er hatte vor allem auch nichts von diesem Ausbruchswillen gemerkt, der sich hinter diesem Pu p pengesicht verbarg. Er hatte diesen bebenden Busen, diesen gesunden, anziehenden Körper gesehen.
    Madame Wienands war auch keine Frau mehr. Sie war die Mutter, die Hausfrau. Sie putzte gerade ihrem Kleinen die Nase, der, nicht mehr die Kraft hatte weite r zuweinen.
    »Soll ich hier bleiben?« fragte Duclos vom Podium herunter.
    »Ich bitte Sie darum.«
    Maigret ging zu Pijpekamp hinüber, redete leise mit ihm. Der Polizeibeamte aus Groningen ging etwas später mit Oosting hinaus.
    Im Café spielten Leute Billard. Man hörte, wie die Kugeln aneinander stießen.
    Und im Saal waren alle bedrückt. Das Ganze erinne r te an eine spiritistische Sitzung, an das Warten auf etwas Entsetzliches. Any traute sich als einzige plötzlich aufz u stehen und nach einem Augenblick des Zögerns zu s a gen:
    »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen. Es ist … Es ist …«
    »Es ist Zeit … Entschuldigung! Wo ist Barens?«
    An ihn hatte er nicht mehr gedacht. Er fand ihn zie m lich weit hinten im Saal an eine Wand gelehnt.
    »Warum haben Sie sich nicht auf Ihren Platz gesetzt?«
    »Sie haben gesagt: Wie an jenem Abend!«
    Er wich Maigrets Blick aus, redete stockend.
    »An jenem Abend saß ich zusammen mit den anderen Schülern auf einem Platz zu fünfzig cents. «
    Maigret ging nicht weiter darauf ein. Er öffnete die Verbindungstür zur Vorhalle, von der aus man auf die Straße gelangte, ohne durch das Café gehen zu müssen. Er sah nur drei oder vier Gestalten in der Dunkelheit.
    »Ich nehme an, daß es nach dem Vortrag unten am Podium ein Gedränge gab. Der Direktor der Schule, der Pastor, ein paar Honoratioren, die den Redner beglüc k wünschten …«
    Niemand antwortete, doch diese Worte genügten, um die Szene wieder lebendig werden zu lassen: die Zuhörer, die zum Ausgang strömten, lautes Stuhlrücken, Gespr ä che, und dort, nahe am Podium, eine Gruppe, Händ e schütteln, lobende Worte … Der Saal, der sich leerte, die letzte Gruppe, die schließlich auch ging, Barens, der die Popingas einholte …
    »Kommen Sie, Monsieur Duclos.«
    Alle standen auf. Und alle schienen unsicher über die Rolle, die sie spielen sollten. Man sah auf Maigret. Any und Beetje schauten aneinander vorbei. Wienands trug

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