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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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altmodischen Mantel, diese Wollstrümpfe, diesen Hut mit heruntergeschlagener Krempe.
    Ihre Füße sanken im Sand ein, wodurch ihr Gang stampfend wirkte. Zweimal drehte sie sich um, aber sie konnte Maigret, den die Hügel der Dünen vor ihr verbargen, nicht sehen.
    Ungefähr einen Kilometer von Ouistreham entfernt bog sie so plötzlich nach rechts ab, daß der Kommisar beinahe entdeckt worden wäre.
    Aber sie ging nicht zu einer der Jagdhütten, wie Maigret einen Augenblick lang vermutet hatte. Die rauhe Gras- und Sandlandschaft war menschenleer. Dem Meer zugewandt, fünf Meter vor der Stelle, wo sich die Wellen bei starker Brandung brachen, stand eine Kapelle, die sicher schon vor einigen Jahrhunderten errichtet worden war. Sie besaß ein Tonnengewölbe, und eine fehlende Mauer ließ die Dicke der anderen erkennen: fast einen Meter schweren Gesteins.
    Julie trat ein, begab sich in den Hintergrund der Kapelle, und kurz darauf hörte Maigret, wie kleine Gegenstände bewegt wurden, Muscheln, vermutete er.
    Leise ging er ein paar Schritte vor. In der Rückwand konnte er eine kleine Nische ausmachen, die mit einem Gitter verschlossen war. Am Fuße der Nische war eine Art Altar, winzigklein, und darübergebeugt, Julie, die etwas suchte.
    Plötzlich wandte sie sich um, entdeckte den Kommissar, dem keine Zeit mehr blieb, sich zu verstecken.
    »Was tun Sie hier?« schoß es aus ihrem Mund.
    »Und Sie?«
    »Ich … ich bin gekommen, um zu Unserer Lieben Frau in den Dünen zu beten.«
    Sie hatte Angst. Alles an ihr bewies, daß sie etwas zu verbergen hatte. Sie hatte in der Nacht sicher nicht viel geschlafen, denn ihre Augen waren gerötet. Und in ihre Stirn fielen zwei Strähnen ihres flüchtig gekämmten Haares.
    »Ach! Die Kapelle ist Unserer Lieben Frau in den Dünen gewidmet?«
    Und tatsächlich stand hinter dem Gitter in der Nische eine Statue der Jungfrau, so alt und zersetzt, daß sie nur noch vage Formen hatte.
    Rings um die Nische hatten Passanten mit Bleistift, mit dem Messer oder einem spitzen Stein Worte in den Fels geritzt, die wirr durcheinander standen:
     
    Möge Denise ihr Examen bestehen
    Unsere Liebe Frau in den Dünen, mach, daß Jojo bald lesen lernt
    Bringe Gesundheit für die ganze Familie, vor allem für Großvater und Großmutter
     
    Aber auch profanere Dinge gab es zu lesen. Auch von Pfeilen durchbohrte Herzen.
     
    Robert und Jeanne auf ewig und immer
     
    Vertrocknete Blumen hingen am Gitter. Ohne die Muscheln, die auf dem zerfallenen Altar aufgeschichtet waren, wäre diese Kapelle eine Kapelle wie viele andere gewesen.
    Es waren alle möglichen Arten von Muscheln. Und auf allen stand, meist mit Bleistift, etwas geschrieben, mal von ungeübter Kinderhand, mal in schlichter, mal in kräftiger Schrift.
     
    Möge der Fischfang in Neufundland gut sein und möge Papa nicht wieder hinausfahren müssen
     
    Der Boden war aus gestampfter Erde. Durch die Öffnung sah man auf den Sandstrand und auf das Meer, das silbrig schimmernd im blendenden Licht lag. Und Julie, die nicht wußte, wie sie sich verhalten sollte, die gegen ihren Willen angstvolle Blicke auf die Muscheln warf.
    »Haben Sie eine davon mitgebracht?« fragte Maigret.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber als ich hereinkam, haben Sie in ihnen gewühlt. Was suchten Sie?«
    »Nichts … ich …«
    »Sie?«
    »Nichts!«
    Sie setzte ein trotziges Gesicht auf, hüllte sich noch fester in ihren Mantel.
    Also war es an Maigret, eine Muschel nach der anderen herauszunehmen und zu lesen, was darauf geschrieben war. Und plötzlich lächelte er. Auf einer riesigen Seemuschel las er Wort für Wort:
     
    Unsere Liebe Frau in den Dünen, gib, daß mein Bruder Louis Erfolg hat und daß wir alle glücklich werden
     
    Darunter ein Datum: 13 . September. Mit anderen Worten: diese primitive Votivtafel war drei Tage vor dem Verschwinden von Kapitän Joris hergebracht worden!
    Und war Julie jetzt nicht gekommen, um sie zurückzuholen?
    »Ist es das, was Sie suchten?«
    »Was können Sie schon damit anfangen!«
    Sie ließ ihre Muschel nicht aus den Augen. Man konnte meinen, daß sie sich gleich auf Maigret stürzen wollte, um sie ihm zu entreißen.
    »Geben Sie sie mir! Legen Sie sie an ihren Platz zurück!«
    »Ich werde sie zurücklegen, ja, aber Sie müssen sie dann auch da liegenlassen. Kommen Sie … Wir wollen uns auf dem Rückweg ein bißchen unterhalten.«
    »Ich habe nichts zu sagen.«
    Sie machten sich auf den Weg, nach vorn gebeugt wegen des weichen

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