Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Bilder verschmolzen in Maigrets Kopf: Yacht … Goldener Füllhalter …
    Und automatisch begann sein Gehirn zu arbeiten. Am Vormittag war es schwer gewesen, eine Erklärung für den Füllhalter zu finden, denn er paßte weder zur ›Saint-Michel‹ noch zu ihrer mehr oder weniger ungehobelten Besatzung. Yacht … Goldener Füllhalter …
    Aber ein reicher Mann mittleren Alters, der eine Yacht für seine Reisen sucht und der einen goldenen Füllhalter verliert, das war schon logischer!
    Blieb nur zu klären, warum dieser Mann, anstatt auf dem Schoner in den Hafen einzufahren, vorher auf das Beiboot umgestiegen ist, die Mole erklommen und sich in einem Schiffsbagger versteckt hat, der halb voll Wasser stand.
    »An dem Abend, als Joris verschwand und ihr Bruder Sie besuchen kam, hat er da nichts von seinem Käufer erzählt? Hat er Ihnen zum Beispiel nicht gesagt, daß dieser an Bord war?«
    »Nein. Er hat mir lediglich mitgeteilt, daß das Geschäft beinahe abgeschlossen sei.«
    Sie waren am Fuße des Leuchtturms angekommen. Dort links stand Joris’ Haus, und im Garten blühten Blumen, die noch der Kapitän gepflanzt hatte.
    Julies Miene verdüsterte sich, sie schien entmutigt, blickte um sich wie jemand, der mit seinem Leben nichts mehr anzufangen weiß.
    »Man wird Sie wegen des Testaments zweifellos zum Notar bestellen. Sie sind jetzt reich.«
    »So ein Unsinn«, meinte sie trocken.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Sie wissen es genau! Dieses Gerede von Vermögen! Der Kapitän war nicht reich!«
    »Das können Sie nicht wissen.«
    »Er verbarg nichts vor mir. Wenn er ein paar hunderttausend Francs besessen hätte, hätte er es mir gesagt. Er hätte letzten Winter nicht gezögert, sich ein Jagdgewehr für zweitausend Francs zu kaufen. Und dabei wollte er es so gern haben! Er hatte das des Bürgermeisters gesehen, hatte sich nach dem Preis erkundigt …«
    Sie waren am Gartentor angekommen.
    »Kommen Sie herein?«
    »Nein. Bis später vielleicht!«
    Sie zögerte, in das Haus zu gehen, in dem sie ganz allein sein würde.
     
    Stunden ohne besondere Vorkommnisse. Maigret strich um den Schiffsbagger herum, wie ein Sonntagsspaziergänger, der mit instinktivem Respekt ein mysteriöses Spektakel betrachtet. Es gab Rohre von riesigem Durchmesser, Fördereimer, Ketten, Winden …
    Gegen elf Uhr nahm er mit den Männern vom Hafen einen Aperitif.
    »Hat niemand Grand-Louis gesehen?«
    Er war gesehen worden, ziemlich früh morgens. Er hatte im Bistro zwei Gläser Rum getrunken und war dann die Hauptstraße hinuntergegangen.
    Maigret war müde. Vielleicht hatte er sich in der Nacht erkältet, jedenfalls fühlte er sich so, als ob ihm eine Grippe in den Gliedern steckte. Man sah es auch an seiner Haltung, in seinem Gesicht, das weniger energisch schien.
    Doch er scherte sich nicht darum, was die Unruhe um ihn herum nur noch steigerte. Die Umsitzenden beobachteten ihn heimlich. Aller Schwung war dahin. Kapitän Delcourt fragte:
    »Was soll ich mit dem Beiboot machen?«
    »Machen Sie es irgendwo fest.«
    Maigret hatte noch eine unbequeme Frage parat.
    »Hat heute morgen niemand einen Fremden auf den Straßen gesehen? Hat niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt drüben bei den Schiffsbaggern?«
    Man hatte nichts gesehen! Jetzt aber, nachdem er das gesagt hatte, war man darauf gefaßt, etwas zu sehen.
    Es war merkwürdig: Jedermann rechnete mit einem Drama! Ein Vorgefühl? Das Gefühl, daß der Zyklus der Ereignisse nicht abgeschlossen war, daß ein Glied in der Kette fehlte?
    Eine Sirene. Ein Schiff wollte in die Schleuse. Die Männer erhoben sich. Maigret ging mit müden Schritten zur Post, um zu sehen, ob etwas für ihn da war. Ein Telegramm von Lucas, der ihm seine Ankunft für 14 Uhr 10 ankündigte.
    Und als es soweit war, hörte man schon von weitem die Kleinbahn, die von Caen bis Ouistreham am Kanal entlangfuhr und die mit ihren Waggons in der Bauart, wie sie es schon 1850 gab, wie ein Kinderspielzeug aussah; schließlich stoppte sie mit einem Getöse von zischendem Dampf und quietschenden Bremsen vor dem Hafen.
    Lucas stieg aus, gab Maigret die Hand, wunderte sich über dessen finsteres Gesicht.
    »Nun?«
    »Na ja!«
    Obwohl Maigret sein Vorgesetzter war, konnte sich Lucas ein Lachen nicht verkneifen.
    »Hören Sie, ich habe noch nicht zu Mittag gegessen!«
    »Komm ins Hotel. Wird schon noch was zu essen da sein.«
    Sie setzten sich in den großen Saal, und der Wirt bediente den Inspektor. Die beiden Männer sprachen

Weitere Kostenlose Bücher