Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Dunkelheit:
»Bist du das, Louis?«
Es war Lannec, der an Bord der ›Saint-Michel‹ war. Er hatte Schritte gehört und den Kopf durch die Luke gesteckt. Anscheinend wußte er, daß der Matrose nicht allein war, denn er sagte sehr schnell in breitem Bretonisch:
»Spring aufs Vorderdeck und wir hauen ab!«
Maigret hatte es verstanden und stand abwartend da, unfähig, in der Dunkelheit den Anfang und das Ende der ›Saint-Michel‹ zu erkennen. Er sah nur die dunkle, zögernde Gestalt seines Begleiters neben sich, dessen Schultern im Regen glänzten.
10
Die drei vom Schiff
E
in schneller Blick auf das schwarze Loch, das das Meer war, dann ein verstohlener Blick auf Maigret. Grand-Louis zuckte die Schultern, fragte den Kommissar brummig:
»Gehen Sie an Bord?«
Maigret bemerkte, daß Lannec etwas in der Hand hatte: eine Trosse. Er folgte ihr mit den Augen, sah, daß sie lose um einen Poller geschlungen war und zurück an Bord führte. Mit anderen Worten: Die ›Saint-Michel‹ war so festgemacht, daß sie in See stechen konnte, ohne daß ein Mann zum Lösen der Trosse an Land gehen mußte.
Der Kommissar sagte nichts. Er wußte, daß niemand im Hafen war. Bis zu Julie, die bestimmt schluchzend in ihrer Küche saß, waren es dreihundert Meter, und die nächsten menschlichen Wesen außer ihr hockten jetzt in der warmen Seemannskneipe.
Er setzte einen Fuß auf die Reling, sprang an Bord. Trotz des Schutzes, den die Mole bot, war das Meer im Vorhafen unruhig, und bei jeder Welle wurde die ›Saint-Michel‹ wie von einem kräftigen Atemzug gehoben.
An manchen Stellen spiegelte sich ein gelber Lichtschein in der Nässe. Sonst war es stockfinster. Am Bug eine undeutliche Gestalt: der Kapitän, der Louis erstaunt entgegensah. Er trug hohe Gummistiefel, Öljacke und Südwester. Er hielt immer noch die Trosse in der Hand.
Und keiner tat oder sagte etwas. Man wartete. Sicher beobachteten die drei Männer Maigret, der ihnen mit seinem Mantel mit Samtkragen und seinem steifen Hut, den er mit der Hand festhielt, sonderlich vorkommen mußte.
»Sie werden heute nacht nicht auslaufen!« sagte er.
Kein Protest. Lannec und Grand-Louis tauschten nur schnell einen Blick, der besagte:
»Fahren wir trotzdem?«
»Besser nicht.«
Der Sturm wurde so heftig, daß er sie fast von Deck wehte, und wieder war es Maigret, der die Initiative ergriff, sich zur Luke begab, die er bereits kannte.
»Unterhalten wir uns … Rufen Sie auch den anderen Matrosen.«
Es war ihm lieber, niemanden im Rücken zu haben. Die vier Männer kletterten die steile Treppe hinunter. Ölzeug und Stiefel wurden ausgezogen. Die Kardanlampe brannte. Auf dem Tisch standen Gläser, daneben lag eine mit Bleistiftstrichen und Fettflecken bedeckte Seekarte.
Lannec schob zwei Briketts in den kleinen Ofen. Dann blickte er zögernd auf seinen Besucher, wußte nicht recht, ob er ihm etwas zu trinken anbieten sollte. Der alte Célestin hatte sich mürrisch in eine Ecke verdrückt. Beunruhigt fragte er sich, warum man ihn hereingeholt hatte.
Aus ihrem Verhalten konnte man einen klaren Schluß ziehen: Keiner wollte reden, weil keiner wußte, woran er war. Der Kapitän sah Grand-Louis fragend an, und dieser antwortete ihm mit einem verzweifelten Blick.
Bedurfte es nicht langer Erklärungen für das, was zu sagen war?
»Haben Sie sich das gut überlegt?« brummte Lannec, nachdem er sich geräuspert hatte, um seine Heiserkeit loszuwerden.
Maigret hatte sich auf einer Bank niedergelassen und beide Ellbogen auf den Tisch gestemmt. Mechanisch spielte er mit einem leeren Glas, das so fettig war, daß man nicht mehr hindurchsehen konnte.
Grand-Louis war stehen geblieben. Er mußte den Kopf einziehen, um nicht an die Decke zu stoßen. Lannec kramte in einem Schrank, nur um beschäftigt zu sein.
»Was überlegt?«
»Ich weiß nicht, wie weit Ihre Befugnisse reichen. Aber eines weiß ich, nämlich daß ich einzig und allein der Marinebehörde unterstehe. Nur sie ist berechtigt, ein Schiff in einem Hafen am Ein- oder Auslaufen zu hindern.«
»Ja und?«
»Sie hindern mich daran, Ouistreham zu verlassen. In La Rochelle habe ich Ladung aufzunehmen, und für jeden Tag Verzögerung steht mir die Zahlung von Schadenersatz in Aussicht …«
Der ernste, halboffizielle Ton kam nicht an. Maigret kannte derartige Reden! Hatte ihm nicht der Bürgermeister in fast demselben Ton gedroht? Und dann Jean Martineau, der zwar nicht die Marinebehörde, aber seinen Konsul ins Gespräch
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