Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
zurückbringen wird. Er kommt mit dem Zug her. Es ist niemand im Haus. Er hinterläßt eine Nachricht für seine Schwester und kehrt nach Fécamp zurück.«
Maigret seufzte, zündete gemächlich seine Pfeife an.
»So weit, so gut. Wir nähern uns dem Schluß. Martineau ist da.
Ihr kommt mit ihm zurück. Vor der Hafeneinfahrt laßt ihr ihn aussteigen, was beweist, daß er nicht gesehen werden will. Er und Grand-Louis treffen sich auf dem Schiffsbagger. Auf euer Wohl!«
Er schenkte sich selber nach, leerte sein Glas unter den düsteren Blicken der drei Männer.
»Eigentlich müßte man jetzt, um alles zu verstehen, nur noch wissen, aus welchem Grund Grand-Louis beim Bürgermeister war, während Martineau nach Paris fuhr. Ein sonderbarer Auftrag: Einem Mann eine Tracht Prügel versetzen, der doch eher in dem Ruf steht, sich nicht mit jedem Beliebigen einzulassen.«
Bei dem Gedanken an die Prügelei setzte Grand-Louis unwillkürlich ein zufriedenes Lächeln auf.
»So, meine Freunde! Seid euch darüber klar, daß sich letzten Endes alles aufklären wird! Und findet Ihr nicht auch, es wäre besser, dies würde gleich geschehen?«
Und Maigret klopfte seine Pfeife am Schuhabsatz aus und stopfte sich eine frische. Célestin war doch tatsächlich eingeschlafen! Er schnarchte mit offenem Mund. Grand-Louis hielt den Kopf schief und starrte auf den schmutzigen Fußboden. Lannec versuchte vergeblich, ihn mit einem Blick um Rat zu fragen.
Schließlich murmelte der Kapitän:
»Wir haben nichts zu sagen.«
An Deck gab es ein Geräusch, als wäre ein ziemlich schwerer Gegenstand umgefallen. Maigret zuckte zusammen, Grand-Louis stand auf und schob den Kopf durch die Luke, so daß auf der Treppe nur noch seine Beine zu sehen waren.
Wenn er jetzt geflohen wäre, hätte ihn der Kommissar zweifellos verfolgt. Aber man hörte nur noch das Prasseln des Regens und das Knarren in den Masten.
Dauerte es eine halbe Minute? Länger keinesfalls. Grand-Louis kam wieder herunter. Die nassen Haare klebten ihm auf der Stirn und das Wasser rann ihm über die Wangen. Er gab keine Erklärung ab.
»Was war los?«
»Die Takel.«
»Was heißt das?«
»Eine Zugwinde ist gegen die Reling gestoßen.«
Der Kapitän feuerte den Ofen nach. Glaubte er, was Louis eben gesagt hatte? Der jedenfalls gab ihm auf seine fragenden Blicke keine Antwort.
Er rüttelte Célestin wach.
»Geh und mach die hinteren Schoten fest!«
Der Matrose rieb sich die Augen, kapierte nicht. Man mußte es ihm zweimal wiederholen. Schließlich zog er sein Ölzeug über, setzte seinen Südwester auf und stieg, steif von Schlaf und Wohlbehagen, die Treppe hinauf. Er war wütend, weil er hinaus in den Regen und in die Kälte mußte.
Über ihren Köpfen hörten sie ihn in seinen Holzpantinen auf Deck hin und her gehen. Grand-Louis füllte sein Glas nun bestimmt schon zum sechstenmal, aber man merkte ihm nichts von Trunkenheit an.
Sein Gesicht blieb immer das gleiche: Unregelmäßige Züge, leicht aufgedunsen, große hervorstehende Augen und die Miene eines Mannes, der sich mit seiner mageren Existenz abgefunden hat.
»Wie denkst du darüber, Grand-Louis?«
»Worüber?«
»Dummkopf! Hast du über deine Situation einmal nachgedacht? Begreifst du nicht, daß du es bist, der den kürzeren ziehen wird? Erstens deine Vergangenheit. Einer, der im Knast saß! Dann dieses Schiff, dessen Besitzer du wirst, ohne eine müde Mark zu besitzen, Joris, der dich nicht mehr bei sich sehen wollte, weil du ihn zu oft angepumpt hattest. Und die ›Saint-Michel‹ am Abend der Entführung in Ouistreham! Du hier an dem Tag, an dem der Kapitän vergiftet wird! Und deine Schwester, die dreihunderttausend Francs erbt!«
Dachte Grand-Louis überhaupt noch an etwas? Sein Blick war so nichtssagend wie nur möglich. Porzellanaugen, die auf irgendeinen Punkt an der Wand starrten.
»Was macht er da oben so lange?« sorgte sich Lannec und sah zu der halbgeöffneten Luke, durch die das Wasser in die Kajüte drang und eine Lache auf dem Fußboden bildete.
Maigret hatte nicht viel getrunken, aber doch genug, um ihm das Blut in den Kopf steigen zu lassen, zumal in dieser stickigen Luft. Und auch genug, um ein paar verträumten Gedanken nachzuhängen.
Nun, da er die drei Männer kannte, konnte er sich ihr Leben in ihrer Welt, die die ›Saint-Michel‹ war, ziemlich gut vorstellen.
Der eine in seiner Koje, die meiste Zeit in Kleidern. Stets eine Flasche und schmutzige Gläser auf dem Tisch. Ein Mann an
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