Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Sturköpfe von Bretonen! … Martineau hat versprochen, den Schoner zu kaufen. Hat er ihn nun gekauft oder nicht?«
Da kam ihm ein Gedanke.
»Reicht mir doch mal die Besatzungsliste.«
Er merkte, daß er ins Schwarze getroffen hatte.
»Ich weiß nicht, wo sie …«
»Ich sage dir doch, Lannec, spiel nicht den Dummen! Gib mir die Liste, zum Donnerwetter!«
Er spielte den gemäßigten Wilden, die gutmütige Bestie. Der Kapitän holte eine abgegriffene, grau gewordene Aktenmappe aus dem Schrank. Sie steckte voller amtlicher Papiere, darunter Geschäftsschreiben mit den Briefköpfen von Schiffsmaklern.
Eine große gelbe Mappe aus neuem Papier enthielt Blätter von imponierendem Format: es war die Mannschaftsliste. Das Datum lag anderthalb Monate zurück, es lautete, genau gesagt, auf den 11. September, das war fünf Tage vor Kapitän Joris’ Verschwinden.
Schoner ›Saint-Michel‹, 270 BRT, ausgerüstet für Küste n schiffahrt. Besitzer: Louis Legrand aus Port-en-Bessin. K a pitän: Yves Lannec. Matrose: Célestin Grolet.
Grand-Louis füllte sein Glas randvoll. Lannec ließ ratlos den Kopf hängen.
»Sieh da! Sieh da! Also du bist derzeit der Besitzer des Schiffes, Grand-Louis?«
Keine Antwort. Célestin in seiner Ecke biß auf einem großen Stück Kautabak herum.
»Hört mal, Kinder, wir wollen uns an so einer Lappalie nicht aufhalten. Ich bin nicht viel dümmer als ihr, oder? Wenn ich vom Leben auf See auch nicht viel verstehe! Grand-Louis besitzt keinen Sou. Ein Schiff wie dieses ist mindestens hundertfünfzigtausend Francs wert …«
»Für den Preis hätte ich es nicht hergegeben«, wandte Lannec ein.
»Meinetwegen zweihunderttausend. Grand-Louis hat also die ›Saint-Michel‹ in jemandes Namen gekauft. Sagen wir, auf Rechnung von Jean Martineau. Aus diesem oder jenem Grund möchte dieser nicht, daß bekannt wird, wem der Schoner gehört … Auf euer Wohl!«
Célestin zuckte die Schultern, als hätte ihn dieses ganze Theater sowieso zutiefst angewidert.
»War Martineau am 11. September, als der Verkauf stattgefunden hat, in Fécamp?«
Die anderen machten saure Gesichter. Louis nahm den Rest Kautabak vom Tisch und schob ihn in den Mund, während Célestin die ausgekauten Stücke in weitem Bogen auf den Kabinenboden ausspuckte.
Die Unterhaltung wurde unterbrochen, weil der Docht der Lampe verkohlte. Das Petroleum war alle. Es mußte ein neuer Kanister von Deck geholt werden. Lannec ging und kam klatschnaß zurück. Eine Minute verharrten sie in der Finsternis, und als es wieder hell war, saßen alle noch am selben Platz.
»Martineau war dort. Ich bin dessen sicher! Das Schiff wurde auf Grand-Louis’ Namen gekauft, Lannec blieb an Bord. Vielleicht sollte er für immer bleiben, vielleicht auch nur für bestimmte Zeit …«
»Für bestimmte Zeit.«
»Gut. Genau so habe ich es mir gedacht. So lange nämlich, wie die ›Saint-Michel‹ für eine eigenartige Expedition gebraucht wurde.«
Lannec sprang gereizt auf, riß sich die Zigarette aus dem Mund.
»Ihr seid nach Ouistreham gefahren. In der Nacht des Sechzehnten lag der Schoner zum Auslaufen bereit im Vorhafen vor Anker. Wo war Martineau?«
Der Kapitän setzte sich wieder. Er war entmutigt, aber fest entschlossen zu schweigen.
»Am Morgen des Sechzehnten sticht die ›Saint-Michel‹ in See. Wer ist an Bord? Ist Martineau noch dabei? Befindet Joris sich auf dem Schiff?«
Maigret wirkte nicht wie ein Richter, nicht einmal wie ein Polizist. Immer noch der herzliche Tonfall, der amüsierte Blick. Es schien, als säße er mit Freunden bei einem Ratespiel.
»Ihr fahrt erst nach England und haltet dann Kurs auf Holland. Gehen Martineau und Joris von Bord? Denn die wollen ja weiter. Ich habe allen Grund zur Annahme, daß sie nach Norwegen hinauffahren …«
Ein Grunzen von Grand-Louis.
»Was sagst du?«
»Daß Sie nichts rauskriegen.«
»War Kapitän Joris schon verwundet, als er an Bord kam? Ist er unterwegs oder erst in Skandinavien verwundet worden?«
Er erwartete keine Antwort mehr.
»Ihr drei, ihr setzt wie bisher eure Küstenfahrten fort. Aber ihr entfernt euch nicht zu weit vom Norden. Ihr wartet auf einen Brief oder ein Telegramm, in dem ein Treffen vereinbart werden soll. Vergangene Woche seid ihr in Fécamp gewesen, dem Hafen, in dem Martineau euch ein erstes Mal getroffen hat. Grand-Louis erfährt, daß man Kapitän Joris in einem merkwürdigen Zustand in Paris aufgegriffen hat und daß man ihn nach Ouistreham
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