Maigret und der gelbe Hund
Glasscherben zu Boden fielen, und er brauchte nicht erst zu suchen, um die braunroten Flecken auf dem Stoff des Sitzes zu sehen.
Um ihn drängten sich vor allem kleine Buben und großsprecherische Jugendliche.
»Das Haus von Monsieur Servières?«
Zu zehnt führten sie ihn hin. Es lag dreihundert Meter weiter, etwas abseits, ein Bürgerhaus, umgeben von einem Garten. Die Eskorte blieb vor dem Gitter stehen, während Maigret läutete und von einem kleinen Dienstmädchen mit verstörtem Gesicht hineingeführt wurde.
»Ist Madame Servières da?«
Schon öffnete sie die Tür zum Eßzimmer.
»Reden Sie schon, Kommissar! Glauben Sie, daß er ermordet worden ist? Ich bin völlig außer mir … Ich …«
Eine biedere Frau von etwa vierzig Jahren, die wie eine gute Hausfrau wirkte, was durch die Sauberkeit ihrer Wohnung bestätigt wurde.
»Sie haben Ihren Mann nicht mehr gesehen, seit …?«
»Gestern abend kam er zum Essen … Mir ist aufgefallen, daß er besorgt war, aber er hat mir nichts sagen wollen … Seinen Wagen hatte er vor der Tür abgestellt, was bedeutete, daß er abends ausging, um seine Partie Karten im Café des Hôtel de l’Amiral zu spielen, das wußte ich. Ich habe ihn gefragt, ob er spät nach Hause käme. Um zehn bin ich zu Bett gegangen … Ich bin lange wach geblieben. Ich habe gehört, wie es elf schlug, dann halb zwölf … Aber es kam öfters vor, daß er spät nach Hause kam. Ich muß dann wohl eingeschlafen sein. Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht. Ich habe mich gewundert, daß ich ihn nicht neben mir spürte. Da habe ich gedacht, daß ihn jemand nach Brest mitgenommen habe … Hier ist nicht viel los … Und so kommt es manchmal vor … Ich konnte nicht wieder einschlafen. Von fünf Uhr morgens an stand ich hinter dem Fenster auf der Lauer … Er mag es nicht, wenn es so aussieht, als warte ich auf ihn, und noch weniger, wenn ich mich nach ihm erkundige. Um neun bin ich zu Monsieur Pommeret gelaufen. Als ich auf einem anderen Weg nach Hause ging, habe ich Leute um den Wagen stehen sehen … Sagen Sie! Weshalb hätte man ihn umbringen sollen? Er ist der beste Mann auf der Welt. Ich bin sicher, daß er keine Feinde hat …«
Eine Gruppe von Leuten wartete vor dem Gitter.
»Anscheinend gibt es Blutspuren … Ich habe Leute gesehen, die eine Zeitung lasen, aber niemand hat sie mir zeigen wollen …«
»Hatte Ihr Mann viel Geld bei sich?«
»Ich glaube nicht … Wie immer! Drei- oder vierhundert Francs …«
Maigret versprach, sie auf dem laufenden zu halten, bemühte sich sogar, sie mit belanglosen Sätzen zu beruhigen. Aus der Küche duftete es nach Hammelkeule. Das Dienstmädchen mit der weißen Schürze begleitete ihn wieder bis zur Tür.
Der Kommissar hatte draußen noch keine hundert Meter zurückgelegt, als ein Passant rasch auf ihn zukam.
»Entschuldigen Sie, Kommissar … Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle … Monsieur Dujardin, Lehrer … Seit einer Stunde kommen Leute zu mir, besonders Eltern meiner Schüler, um mich zu fragen, ob an dem Zeitungsbericht etwas Wahres dran sei. Manche wollen wissen, ob sie das Recht haben zu schießen, falls sie den Mann mit den großen Füßen sehen sollten …«
Maigret war kein Geduldsengel. Er steckte beide Hände in seine Taschen und brummelte dabei:
»Sie können mich mal!«
Und er machte sich auf den Weg zur Stadtmitte.
Es war zum Verrücktwerden! So etwas hatte er noch nie erlebt. Es erinnerte an die Gewitter, wie sie manchmal im Film zu sehen sind. Man zeigt eine Straße in strahlendem Sonnenschein, einen wolkenlosen Himmel. Auf einmal schiebt sich eine Wolke davor und verdeckt die Sonne. Ein heftiger Wind fegt durch die Straße. Graugrünes Licht. Klappernde Fensterläden. Wirbelnde Staubwolken. Dicke Tropfen.
Und dann die Straße im strömenden Regen, unter einem dramatischen Himmel!
Concarneau veränderte sich zusehends. Der Artikel im Phare de Brest war nur der Anfang. Lange schon übertrafen die mündlichen Kommentare die schriftliche Version bei weitem.
Und dazu war es noch Sonntag! Die Bewohner hatten nichts zu tun! Man sah, wie sie zum Wagen von Jean Servières hinspazierten, in dessen Nähe man zwei Polizisten postieren mußte. Die Schaulustigen blieben eine Stunde dort und hörten sich die Erklärungen an, die jene abgaben, die besser im Bilde waren.
Als Maigret zum Hôtel de l’Amiral zurückkam, hielt ihn der Wirt mit der weißen Mütze, der von einer ungewohnten Nervosität befallen war, am Ärmel
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