Maigret und der gelbe Hund
beruhigen.
»Und Ihr Inspektor?«
»Ich habe ihn auf eine Runde in die Stadt geschickt.«
»Und der Hund?«
»Seit heute morgen ist er nicht wieder gesehen worden.«
Der Fußboden war grau, der Marmor der Tische grellweiß durchzogen von blauen Adern. Durch die Fensterscheiben hindurch erahnte man die beleuchtete Turmuhr der Altstadt, auf der es zehn vor fünf war.
»Weiß man immer noch nicht, wer diesen Artikel geschrieben hat?«
Die Zeitung lag auf dem Tisch. Man las schließlich nur noch vier Worte:
Wer ist der nächste?
Das Telefon läutete, Emma antwortete:
»Nein … Nichts … Ich weiß von nichts …«
»Wer war es?« erkundigte sich Maigret.
»Wieder eine Zeitung aus Paris … Anscheinend kommen die Journalisten mit dem Wagen …«
Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als erneut das Telefon läutete.
»Es ist für Sie, Kommissar.«
Der Arzt, ganz bleich, folgte Maigret mit den Blicken.
»Hallo! … Wer ist am Apparat? …«
»Leroy. Ich bin in der Altstadt, in der Nähe der Brücke … Man hat einen Schuß abgefeuert … Ein Schuster, der von seinem Fenster aus den gelben Hund bemerkt hat …«
»Tot?«
»Verletzt! Die Lenden zerschmettert … Das Tier kann sich kaum noch wegschleppen … Die Leute wagen sich nicht heran … Ich rufe Sie von einem Café aus an … Das Tier liegt mitten auf der Straße … Durch das Fenster kann ich es sehen … Es jault … Was soll ich tun?«
Und aus der Stimme des Inspektors, die ihm nicht mehr gehorchte, sprach Angst, so als sei der verletzte gelbe Hund ein übernatürliches Wesen.
»An allen Fenstern sind Menschen … Sagen Sie, Kommissar, soll man ihm den Gnadenschuß geben?«
Aschfahl im Gesicht, stand der Arzt hinter Maigret und fragte schüchtern:
»Was ist denn los? Was sagt er?«
Und der Kommissar sah zu Emma hin, die die Ellbogen auf den Schanktisch aufgestützt hatte und vage in die Luft blickte.
4
Wie auf einem Kompaniegefechtsstand
Maigret überquerte die Zugbrücke, ging durch die Stadtmauern und bog in eine verwinkelte und schlecht beleuchtete Straße ein. Das, was die Bürger von Concarneau als ville close bezeichneten, nämlich das alte, noch von seinen Festungswällen umschlossene Viertel, war einer der am stärksten bevölkerten Teile der Stadt.
Und dennoch kam der Kommissar in eine Zone des Schweigens, das immer vieldeutiger wurde. Das Schweigen einer von einem Schauspiel gebannten Menge, die erschauert, sich fürchtet oder ungeduldig wird.
Ein paar vereinzelte Stimmen von Heranwachsenden, die unbedingt prahlen wollten.
Noch eine Biegung, und der Kommissar stand vor der Szene: ein enges Gäßchen mit Leuten an allen Fenstern; petroleumbeleuchtete Zimmer, da und dort Betten darin; eine Gruppe, die im Weg stand, und jenseits dieser Gruppe eine große Leere, aus der ein Röcheln stieg.
Maigret schob die Schaulustigen zur Seite, zumeist junge Leute, die von seinem Kommen überrascht wurden. Zwei von ihnen waren noch dabei, den gelben Hund mit Steinen zu bewerfen. Ihre Begleiter wollten sie noch an ihrem Tun hindern. Man hörte oder erriet vielmehr:
»Achtung!«
Und einer der Steinwerfer lief bis über beide Ohren rot an, als Maigret ihn nach links stieß und auf das verletzte Tier zu ging. Schon war das Schweigen anders beschaffen. Offensichtlich waren die Schaulustigen noch einige Augenblicke zuvor von einem bösartigen Rausch befallen gewesen – mit Ausnahme einer Alten, die rief:
»Das ist eine Schande! Sie müßten ein Protokoll machen, Kommissar! Alle zusammen machen sie sich über dieses arme Tier her. Und ich weiß schon, weshalb! Weil sie Angst vor ihm haben …«
Verlegen ging der Schuster, der geschossen hatte, wieder in sein Geschäft zurück. Maigret bückte sich, um den Hund am Kopf zu streicheln, der ihn erstaunt ansah, noch nicht dankbar. Inspektor Leroy kam aus dem Café, von Wo aus er angerufen hatte. Ungern gingen Leute fort.
»Bringt einen Schubkarren her.«
Die Fenster wurden eines nach dem anderen geschlossen, aber man ahnte neugierige Schatten hinter den Gardinen. Der Hund war schmutzig, sein dichtes Fell blutverschmiert. Sein Bauch war voller Schlamm, die Schnauze trocken und heiß. Jetzt, da man sich mit ihm beschäftigte, gewann er wieder Vertrauen, versuchte nicht mehr, sich über den Boden zu schleppen, wo zwanzig dicke Steine ihn umrahmten.
»Wohin mit ihm, Kommissar?«
»Zum Hotel … Sachte … Legen Sie Stroh auf den Boden des Karrens.«
Dieses Geleit hätte etwas
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