Maigret und der gelbe Hund
in vierundzwanzig Stunden allgemeine Panik … Es muß jemand verhaftet werden, ich hab es schon einmal gesagt, egal wer …«
Und er unterstrich diese letzten Worte mit einem auf Emma gerichteten Blick.
»Ich weiß, daß ich Ihnen keine Befehle zu erteilen habe. Der hiesigen Polizei haben Sie ja bloß eine bedeutungslose Rolle überlassen. Aber ich sage Ihnen: Noch ein Verbrechen, ein einziges, dann ist der Teufel los … Die Leute machen sich auf etwas gefaßt. Die Geschäfte, die sonst am Sonntag bis neun Uhr geöffnet bleiben, haben zu … Dieser blöde Artikel im Phare de Brest hat die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt.«
Der Bürgermeister hatte seine Melone nicht abgenommen, und beim Fortgehen zog er sie noch weiter in die Stirn, nachdem er gemahnt hatte:
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich auf dem laufenden hielten, Kommissar … Und ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, daß Sie für alles, was zur Zeit geschieht, die Verantwortung tragen …«
»Ein Halbes, Emma!« bestellte Maigret.
Man konnte die Journalisten weder daran hindern, im Hôtel de l’Amiral abzusteigen, noch daran, es sich im Café bequem zu machen, zu telefonieren, das Haus mit ihrem lärmenden Hin und Her zu erfüllen. Sie verlangten Tinte und Papier. Sie befragten Emma, die jämmerlich und verwirrt dreinschaute.
Draußen schwarze Nacht. Ab und zu schwacher Mondschein, der die Düsternis des mit schweren Wolken verhangenen Himmels noch betonte, anstatt sie zu erhellen. Und dieser Schlamm, der an allen Schuhen kleben blieb, denn Concarneau kannte noch keine gepflasterten Straßen!
»Hat Ihnen Le Pommeret gesagt, ob er wiederkäme?« fragte Maigret Michoux.
»Ja … Er ist nach Hause essen gegangen …«
»Welche Adresse?« fragte ein Journalist, der nichts weiter zu tun hatte.
Der Arzt gab sie ihm, während der Kommissar mit den Achseln zuckte und Leroy in eine Ecke holte.
»Haben Sie das Original des Artikels, der heute morgen erschienen ist?«
»Ich habe es gerade bekommen. Es liegt auf meinem Zimmer. Der Text ist mit der linken Hand geschrieben worden, also von jemandem, der befürchtete, daß seine Handschrift erkannt werden könnte …«
»Kein Poststempel?«
»Nein! Der Brief wurde in den Briefkasten der Zeitung geworfen. Auf dem Umschlag steht vermerkt: ›Äußerst dringend‹.«
»So daß also spätestens um acht Uhr morgens jemand über das Verschwinden von Jean Servières im Bilde war und wußte, daß der Wagen am Fluß Saint-Jacques abgestellt war, oder abgestellt werden würde, und daß man Blutspuren auf dem Sitz feststellen würde … Und dieser jemand wußte außerdem sehr wohl, daß man irgendwo die großen Fußstapfen eines Unbekannten entdecken würde …«
»Das ist unglaublich!« seufzte der Inspektor. »Was diese Fußstapfen betrifft, so habe ich davon ein Funkbild zum Quai des Orfèvres geschickt. Sie haben schon in den Registern nachgeforscht. Ich habe die Antwort: Sie passen zu keiner Karteikarte eines Verbrechers …«
Es stand außer Zweifel: Leroy ließ sich von der Angst ringsum anstecken. Am stärksten von diesem Virus befallen, um es einmal so zu sagen, war Ernest Michoux, dessen Gestalt im Kontrast zum sportlichen Äußeren, den ungezwungenen Gesten und dem Selbstvertrauen der Journalisten erst recht kümmerlich wirkte. Er wußte nicht, wohin. Maigret fragte ihn: »Gehen Sie nicht zu Bett?«
»Noch nicht. Ich schlafe nie vor ein Uhr morgens ein.«
Er bemühte sich zu lächeln, was mißriet und zwei Goldzähne sichtbar werden ließ.
»Ganz offen, was denken Sie?«
Die beleuchtete Turmuhr der Altstadt schlug zehn. Der Kommissar wurde ans Telefon gerufen. Es war der Bürgermeister.
»Noch nichts?«
Ob auch er sich auf ein Verbrechen gefaßt machte?
Aber machte sich Maigret im Grunde genommen nicht selbst auch darauf gefaßt? Eigensinnig stattete er dem gelben Hund einen Besuch ab, der eingeschlummert war, furchtlos sein Auge aufschlug und ihn näherkommen sah. Der Kommissar kraulte ihn am Kopf und schob ihm etwas Stroh unter die Pfoten.
Er bemerkte den Wirt hinter sich.
»Glauben Sie, daß diese Herren von der Presse lange bleiben? … Denn dann muß ich an die Vorräte denken … Morgen um sechs ist Markt …«
Wenn man Maigret nicht kannte, so hatte es in solchen Fällen etwas Verwirrendes zu sehen, wie seine großen Augen einen anstarrten, als sähe er einen nicht, und ihn etwas Unverständliches brummeln zu hören, wenn er sich entfernte, so, als hielte er einen
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