Maigret und der gelbe Hund
dann auf Maigret und rief aus:
»Was gibt es denn noch?«
Ein wenig Blut rann auf den Boden. Der Apotheker hatte das Bein des Zöllners mit Wasserstoffsuperoxyd gewaschen, das Streifen rötlichen Schaums bildete.
Draußen erzählte ein Mann vielleicht zum zehnten Mal, aber dennoch außer Atem:
»Meine Frau und ich lagen im Bett, als ich ein Geräusch hörte, das wie ein Schuß klang, darauf einen Schrei. Dann nichts mehr, vielleicht fünf Minuten lang! Ich wagte nicht, wieder einzuschlafen … Meine Frau wollte, daß ich nachsehen gehe … Dann waren stöhnende Laute zu hören, die anscheinend vom Bürgersteig herkamen, unmittelbar bei unserer Tür … Ich habe sie geöffnet … Ich war bewaffnet … Ich habe eine dunkle Masse gesehen … Ich habe die Uniform erkannt … Ich habe angefangen zu rufen, um die Nachbarn aufzuwecken, und der Obsthändler, der einen Wagen hat, hat mir geholfen, den Verletzten hierher zu bringen …«
»Um welche Zeit wurde der Schuß abgegeben?«
»Vor knapp einer halben Stunde.«
Also genau im ergreifendsten Moment der Szene zwischen Emma und dem Mann der Fußabdrücke!
»Wo wohnen Sie?«
»Ich bin der Segelmacher. Sie sind schon zehnmal bei mir vorbeigegangen … Rechts vom Hafen, ein Stück nach der Fischhalle. Mein Haus steht an einer Ecke, die der Quai mit einer kleinen Straße bildet. Danach gibt es nur noch vereinzelt Gebäude und fast nur noch Villen.«
Vier Männer trugen den Verletzten in ein Hinterzimmer, wo sie ihn auf ein Sofa betteten. Der Arzt erteilte Anweisungen. Draußen hörte man die Stimme des Bürgermeisters fragen:
»Ist der Kommissar hier?«
Maigret ging ihm entgegen, beide Hände in den Taschen.
»Sie werden gestehen, Kommissar …«
Der Blick seines Gesprächspartners war jedoch so kalt, daß der Bürgermeister für einen Augenblick die Fassung verlor.
»Es war unser Mann, der den Anschlag verübt hat, stimmt’s?«
»Nein!«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich weiß es, weil ich ihn zu der Zeit, als das Verbrechen verübt worden ist, fast ebenso gut vor mir sah, wie ich jetzt Sie vor mir sehe.«
»Und Sie haben ihn nicht verhaftet?«
»Nein!«
»Man hat mir auch von einem Überfallenen Gendarmen erzählt.«
»Das ist richtig.«
»Ist Ihnen eigentlich klar, welche Folgen diese Verbrechen haben können? Seit Sie hier sind, geschieht schließlich …«
Maigret nahm den Telefonhörer ab.
»Geben Sie mir die Gendarmerie, Mademoiselle … Ja … Danke … Hallo! … Die Gendarmerie? … Der Wachtmeister selbst? … Hallo! Hier Kommissar Maigret … Doktor Michoux ist doch sicher noch dort, ja? … Wie bitte? Ja, vergewissern Sie sich trotzdem … Wie? … Es steht ein Wachposten im Hof? … Sehr gut … Ich warte …«
»Glauben Sie, daß etwa der Doktor …?«
»Gar nichts! Ich glaube nie etwas, Herr Bürgermeister! … Hallo! … Ja! … Er hat sich nicht vom Fleck gerührt? … Danke … Sie sagen, er schläft? … Sehr gut … Hallo! Nein! Nichts Besonderes …«
Stöhnende Laute drangen aus dem Zimmer im Hintergrund, wo eine Stimme unverzüglich rief:
»Kommissar.«
Es war der Arzt, der seine noch seifigen Hände an einem Handtuch abwischte.
»Sie können ihn vernehmen. Die Kugel hat bloß die Wade gestreift. Mehr Angst als Schaden. Aber man muß auch sagen, daß die Blutung ziemlich stark war.«
Dem Zöllner standen die Tränen in den Augen. Er wurde rot, als der Arzt fortfuhr:
»Seine ganze Angst kommt daher, weil er glaubte, daß man ihm das Bein amputieren würde. Aber in einer Woche sieht alles wieder ganz anders aus!«
Der Bürgermeister stand im Türrahmen.
»Erzählen Sie mir, wie das passiert ist!« sagte Maigret in aller Ruhe, wobei er sich auf die Kante des Sofas setzte. »Keine Angst. Sie haben gehört, was der Doktor gesagt hat.«
»Ich weiß nicht …«
»Was denn?«
»Heute ging mein Dienst um zehn Uhr zu Ende … Ich wohne ein Stück weiter weg von der Stelle, wo ich angeschossen worden bin.«
»Sie sind also nicht gleich nach Hause gegangen?«
»Nein! Ich habe gesehen, daß im Café des Hotels noch Licht war. Ich habe wissen wollen, wie es denn so steht. Ich schwöre Ihnen, mein Bein verbrennt mir!«
»Ach was? Ach was!« sagte der Arzt.
»Aber wenn ich es Ihnen doch sage … Na dann? Wenn es nichts ist … Ich habe im Café ein Halbes getrunken. Es waren nur Journalisten da, und ich habe nicht einmal gewagt, sie zu fragen …«
»Wer hat Sie bedient?«
»Ein Zimmermädchen, glaube ich … Emma habe
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