Maigret und der Spion
Er muß durch die Hintertür abgehauen sein. Nach Auskunft von Mademoiselle hat er den Inhalt ihrer Handtasche mitgehen lassen … «
Chabot wagte niemanden anzusehen. Er hatte sein kaum angebissenes Sandwich wieder hingelegt.
»Schöne Gauner, Kommissar! … Das soll mir noc h mal passieren, nett zu solchen ausgekochten Bürschchen zu sein.«
»Langsam! Immer langsam! Und beschränken Sie sich darauf, meine Fragen zu beantworten.«
»Immerhin hat er meine ganzen Ersparnisse mitgehen lassen!«
»Halten Sie bitte den Mund!«
Girard redete leise mit dem Kommissar, übergab ihm das goldene Zigarettenetui.
»Sagen Sie mir zunächst, wie dieser Gegenstand in Ihr Zimmer gelangt ist. Ich nehme an, daß Sie ihn kennen. Sie haben mit Graphopulos seinen letzten Abend ve r bracht. Er hat sich mehrmals aus diesem Etui bedient, das verschiedenen Personen auffiel. Hat er es Ihnen g e geben?«
Sie sah Chabot an, dann den Kommissar und sagte:
»Nein!«
»Also, wieso wurde es dann bei Ihnen gefunden?«
»Es war Delfosse … «
Da schnellte Chabots Kopf hoch, er wollte aufspri n gen, setzte an: »Das ist nicht wahr! Sie … «
»He, setzen Sie sich wieder hin! Sie behaupten also, Mademoiselle, daß dieses Etui sich im Besitz von René Delfosse befunden hat. Sind Sie sich darüber im klaren, wie schwerwiegend diese Anschuldigung ist?«
Sie lachte höhnisch.
»Und wie! … Hat er mir vielleicht nicht das Geld g e klaut, das in meiner Handtasche war, der … «
»Kennen Sie ihn schon lange?«
»Drei Monate vielleicht … Seit er mit diesem kom i schen Vogel fast täglich ins ›Gai-Moulin‹ kommt … Oft in der Kreide, übrigens … Ich hätte ihnen nie trauen sollen … Aber Sie wissen ja, wie das so ist. Sie waren jung! Es war erholsam, mit ihnen ein Schwätzchen zu machen. Ich hab sie wie Kumpane behandelt. Und wenn sie mir ein Glas spendiert haben, hab ich auch noch darauf geachtet, daß es nicht zu teuer war. «
Ihr Blick war hart.
»Hatten Sie mit beiden ein Verhältnis?«
Sie lachte auf.
Sie prustete los.
»Nicht einmal! Sie hätten zweifellos gerne … Aber sie redeten bloß um den heißen Brei herum, ohne mit der Sprache herauszurücken. Sie besuchten mich zu Hause, jeder für sich, unter einem Vorwand um mir beim A n ziehen zuzugucken … «
»Am Abend des Verbrechens tranken Sie mit Graphopulos Champagner. Hatten Sie mit ihm ausg e macht, daß Sie hinterher mit ihm gehen würden?«
»Für wen halten Sie mich? … Ich bin Tänzerin … «
»Animierdame, um genau zu sein … Wir wissen alle, was das heißt. Sind Sie mit ihm weggegangen?«
»Nein!«
»Hat er Ihnen Anträge gemacht?«
»Ja und nein. Er redete davon, daß ich ihn in seinem Hotel aufsuchen sollte, ich weiß nicht einmal mehr wo. Ich hab gar nicht hingehört … «
»Sie sind aber nicht allein weggegangen.«
»Ja. Gerade, als ich an der Tür war, kam ein anderer Gast, den ich nicht kenne und der Franzose sein muß, und hat mich gefragt, wo die Place Saint-Lambert ist. Ich habe ihm gesagt, ich hätte den gleichen Weg. Er hat mich ein Stück begleitet und dann plötzlich erklärt: ›Oh! Ich habe meinen Tabak in der Bar vergessen …!‹ Und er hat auf dem Absatz kehrtgemacht. «
»War er ziemlich korpulent?«
»Ja, genau!«
»Sind Sie geradewegs nach Hause gegangen?«
»Wie jede Nacht.«
»Und von dem Verbrechen haben Sie am nächsten Tag in der Zeitung gelesen?«
»Der Bursche da war bei mir … Er hat es mir e r zählt … «
Schon zwei- oder dreimal hatte Chabot sie unterbr e chen wollen, aber jedesmal hatte ihn ein Blick des Kommissars innehalten lassen. Sein Vater stand noch immer am selben Fleck.
»Sie haben also keine Ahnung, wie dieser Mord pa s siert sein könnte?«
Sie antwortete nicht sofort.
»Reden Sie schon! Chabot hat eben gestanden, daß er an diesem Abend mit seinem Freund zusammen auf der Kellertreppe des ›Gai-Moulin‹ versteckt war. «
Sie lachte spöttisch.
»Er behauptet, sie hätten es beide lediglich auf die Kasse abgesehen. Als sie ungefähr eine Viertelstunde nach Schließung des Lokals den Saal betraten, hätten sie Graphopulos’ Leiche erblickt … «
»Im Ernst?«
»Wer könnte Ihrer Meinung nach die Tat begangen haben? Warten Sie! Wir haben es mit einer begrenzten Anzahl möglicher Schuldiger zu tun. Da ist zunächst Génaro, der Wirt. Er behauptet, er sei gleich nach Ihnen zusammen mit Victor gegangen. Er gibt an, Graphop u los sei dann schon fort gewesen.«
Sie zuckte die Achseln,
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