Maigret und der Spion
behandeln!« riet er Delvigne.
Der andere öffnete die Tür. Im geräumigen Büro der Inspektoren umringte ein halbes Dutzend Reporter e i nen Mann, den Kommissar Delvigne wiedererkannte.
Es war der Geschäftsführer des ›Hotel Moderne‹, der schon am Nachmittag da gewesen war. Er redete aufg e regt auf die Journalisten ein, die sich Notizen machten. Plötzlich drehte er sich um, erblickte Maigret, zeigte, hochrot anlaufend, mit dem Finger auf ihn.
»Das ist er!« rief er. »Kein Zweifel, das ist er!«
»Ich weiß, er hat gerade zugegeben, daß er in Ihrem Hotel abstieg.«
»Und er hat auch zugegeben, daß er den Koffer stahl?«
Kommissar Delvigne verstand das nicht.
»Welchen Koffer?«
»Den Weidenkoffer, Himmel! Bei den Angestellten, die man heutzutage kriegt, hätte ich es noch lange nicht bemerken können … «
»Erklären Sie das genauer. «
»Na, gut! In jedem Stock des Hotels steht im Gang ein Weidenkoffer für die schmutzige Wäsche. Vorhin kam der Wäschereiwagen, und da stellte ich fest, daß ein Koffer fehlt, der vom dritten Stock. Ich habe das Zi m mermädchen gefragt. Sie behauptet, sie hätte geglaubt, der Koffer sei zur Reparatur gebracht worden, weil der Deckel schlecht schloß.«
»Und die Wäsche?«
»Das ist das Tollste! Die Wasche, die er enthielt, wu r de im Koffer vom zweiten Stock gefunden. «
»Sind Sie überzeugt, daß es Ihr Koffer ist, der zum Transport der Leiche benutzt wurde?«
»Ich komme gerade von der Leichenhalle, wo man ihn mir gezeigt hat. «
Er keuchte. Er konnte sich nicht darüber beruhigen, daß er so tief in diese Geschichte verwickelt war.
Am betroffensten war jedoch Kommissar Delvigne, der sich nicht einmal zu Maigret umzudrehen traute. Er vergaß darüber die Anwesenheit der Journalisten und das verabredete Verhalten.
»Was sagen denn Sie dazu?«
»Nichts sage ich dazu«, erwiderte Maigret unbewegt.
»Passen Sie auf!« hob der Geschäftsführer vom ›Hotel Moderne‹ wieder an. »Er hat den Koffer sehr wohl aus dem Haus schaffen können, ohne gesehen zu werden. Wenn man nachts hinein will, muß man klingeln. Der Portier betätigt dann den Türöffner, ohne vom Bett au f zustehen. Doch um hinauszugehen, braucht man nur den Türknopf zu drehen.«
Ein Journalist mit zeichnerischem Talent machte rasch eine Skizze von Maigret, den er mit Hängebacken und denkbar furchteinflößendem Gesicht darstellte.
Kommissar Delvigne strich sich mit der Hand durchs Haar, stammelte:
»Würden Sie sich nochmals kurz in mein Büro beg e ben?«
Er wußte nicht, wo hinschauen. Ein Reporter fragte:
»Hat er ein Geständnis abgelegt?«
»Lassen Sie mich in Ruhe!«
Und Maigret sagte ruhig:
»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich auf keine Frage mehr antworten werde … «
»Girard! Laß den Wagen vorfahren!«
»Muß ich meine Aussage nicht unterzeichnen?« wollte der Hotelier wissen.
»Später … «
Es war ein beträchtliches Durcheinander. Nur Ma i gret rauchte ruhig seine Pfeife, während er die anwese n den Leute der Reihe nach betrachtete.
»Handschellen?« fragte Girard, als er zurückkehrte.
»Ja … Nein … Kommen Sie, hier entlang! … «
Er hatte es eilig, mit seinem Kollegen im Wagen allein zu sein.
Als sie durch die verlassenen Straßen fuhren, fragte er fast flehend:
»Was bedeutet das alles?«
»Was?«
»Diese Geschichte mit dem Koffer. Der Mann b e schuldigt Sie doch eigentlich, aus dem Hotel einen We i denkoffer entwendet zu haben. Den Koffer, in dem man die Leiche fand!«
»Ja, das schien er anzudeuten.«
Dieses »andeuten« war krasse Ironie angesichts der e r regten Beteuerungen des Geschäftsführers.
»Ist das wahr?«
Statt klar zu antworten, referierte Maigret:
»An sich ist der Koffer von Graphopulos oder von mir entwendet worden. Von Graphopulos aus wäre es unb e streitbar außerordentlich! Jemand, der sich damit abgibt, seinen eigenen Sarg wegzubringen! … «
»Verzeihung … Aber vorhin, als Sie mir sagten, wer Sie sind, dachte ich nicht daran, Sie zu bitten … hm … sich … hm … auszuweisen … «
Maigret durchsuchte seine Taschen. Gleich darauf streckte er dem Kollegen seine Dienstmarke hin.
»Oh … Sie verstehen gewiß … Diese Sache mit dem Weidenkoffer … «
Dann, plötzlich mutig dank der Dunkelheit, die im Wagen herrschte:
»Wissen Sie, daß ich Sie, auch wenn wir es nicht b e sprochen hätten, aufgrund der klaren Aussage dieses Mannes ins Gefängnis bringen müßte?«
»Natürlich!«
»Haben Sie
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