Maigret und der Spion
Geld?«
»Das ist nicht wahr!«
»Nur mit der Ruhe! Sie werden all das der Krimina l polizei erklären können. Ruft mal Kommissar Delvigne an und fragt, was mit diesem Bürschchen da geschehen soll … «
»Ich hab Hunger!« murrte Delfosse, immer noch mit der Miene eines nörgelnden Kindes.
Er erntete nur ein Achselzucken.
»Sie haben kein Recht, mich hungern zu lassen … Ich werde Sie anzeigen. Ich … «
»Hol ihm nebenan ein Sandwich! … «
Delfosse aß zwei Bissen davon, warf den Rest ang e ekelt zu Boden.
»Hallo! … Ja … Er ist hier … Sehr gut! … Ich lasse ihn gleich rüberbringen … Nein … Nichts … «
Im Wagen zwischen zwei Beamten sitzend, bewahrte Delfosse zunächst ein verbissenes Schweigen. Dann, o h ne daß jemand ihn etwas gefragt hätte, murmelte er:
»Jedenfalls war nicht ich es, der ihn umbrachte. Ch a bot war’s … «
Niemand achtete auf ihn.
»Mein Vater wird sich beim Gouverneur beschweren … Mit dem ist er befreundet … Ich habe nichts getan! … Man hat mir meine Brieftasche gestohlen, und heute mittag wollte mich der Patron des Cafés ohne einen Sou rauswerfen … «
»Aber der Revolver gehört Ihnen?«
»Dem Patron … Er drohte zu schießen, wenn ich Radau machte … Sie brauchen nur den Gast zu fragen, der dort war ….«
Als sie das Gebäude der Kriminalpolizei betraten, reckte er den Kopf, versuchte eine wichtige, selbstsichere Miene aufzusetzen.
»Aha, da ist der Bursche«, sagte einer der Inspektoren, seinen Kollegen die Hand drückend, wobei er Delfosse von Kopf bis Fuß musterte. »Ich sag dem Chef B e scheid.«
Nach kurzer Zeit kam er zurück und meldete:
»Er soll warten! … «
Man sah dem jungen Mann an, wie mißmutig und besorgt er war, als er den Stuhl ablehnte, der ihm ang e wiesen wurde. Er wollte sich eine Zigarette anzünden. Man nahm sie ihm aus den Fingern.
»Nicht hier!«
»Sie rauchen doch auch!«
Er hörte, wie der Inspektor beim Weggehen etwas brummelte wie:
» … ein komischer kleiner Kampfhahn … «
Um ihn herum rauchten und schrieben sie weiter, blätterten in Akten und tauschten ab und an ein paar Worte aus.
Ein Klingeln. Ohne aufzusehen, sagte der Inspektor zu Delfosse:
»Sie können zum Chef hinein … Die Tür dort hi n ten … «
Das Büro war nicht groß. Die Luft war blau vom Rauch, und der Ofen, den man gerade zum ersten Mal in diesem Herbst angezündet hatte, fauchte laut bei j e dem Windstoß.
Kommissar Delvigne thronte in seinem Sessel. Im Hintergrund, am Fenster, saß jemand im Gegenlicht auf einem Stuhl.
»Herein! … Setzen Sie sich … «
Die sitzende Silhouette richtete sich auf. Man erriet, undeutlich der Beleuchtung wegen, das blasse Gesicht von Jean Chabot, der sich seinem Freund zuwandte.
Worauf Delfosse sarkastisch fragte:
»Was erwartet man von mir?«
»Aber gar nichts, junger Mann! Sie sollen bloß ein paar Fragen beantworten … «
»Ich habe nichts getan.«
»Und ich habe Sie noch nicht angeklagt … «
Gegen Chabot gewandt, knurrte René:
»Was hat er erzählt? … Er lügt, da bin ich ganz sicher … «
»Langsam! Langsam! Und versuchen Sie, meine Fr a gen zu beantworten … Sie dort, bleiben Sie sitzen! … «
»Aber … «
»Sitzenbleiben, sag ich. Und jetzt, mein kleiner De l fosse, erzählen sie mir, was Sie im ›Chez Jeanne‹ gemacht haben … «
»Ich bin bestohlen worden … «
»Was sonst? … Sie kamen gestern nachmittag dort an und waren schon angesäuselt … Sie wollten mit der Se r viererin im ersten Stock verschwinden, und da sie sich weigerte, sind Sie auf die Straße hinaus, um sich eine Frau zu suchen. «
»Das ist mein gutes Recht.«
»Sie haben jedermann freigehalten … Stundenlang waren Sie die große Attraktion … Bis Sie schließlich stockbesoffen unter dem Tisch landeten. Der Patron hat sich Ihrer erbarmt und Sie oben ins Bett gebracht … «
»Er hat mich bestohlen … «
»Vielmehr haben Sie mit Geld nur so um sich gewo r fen, das Ihnen gar nicht gehörte … Genauer, mit dem Geld, das Sie am Morgen aus Adèles Handtasche g e nommen hatten.«
»Das ist nicht wahr!«
»Von diesem Geld kauften Sie als erstes den Revolver … Was wollten Sie damit?«
»Ich wollte eben einen Revolver haben!«
Chabots Mienenspiel war spannend zu verfolgen. Er beobachtete seinen Freund völlig entgeistert, als könnte er seinen Ohren nicht trauen. Er schien plötzlich einen anderen Delfosse zu entdecken, der ihn erschreckte. Er wäre ihm gern ins Wort gefallen,
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