Maigret und der Spion
Häuser mit zwei Ausgängen, ein Taxi nach dem anderen. Er fügt hinzu, daß Graphop u los für Mittwoch morgen einen Flug nach London g e bucht hat.
Ihnen kann ich’s gestehen: Die Idee eines Ausflugs nach London, zumal mit dem Flugzeug, erschien mir recht verlockend, und so übernahm ich die Beschattung selber.
Am Mittwoch früh hat Graphopulos das ›Grand-Hôtel‹ verlassen, doch statt sich zum Flughafen zu beg e ben, hat er sich zur Gare du Nord fahren lassen, wo er eine Fahrkarte nach Berlin kaufte …
Wir sind im gleichen Salonwagen gereist. Ich weiß nicht, ob er mich wiedererkannte. Jedenfalls hat er mich nicht angesprochen.
In Lüttich stieg er aus und ich hinterdrein. Er hat ein Zimmer im ›Hôtel Moderne‹ genommen, ich ein Zi m mer daneben. Zum Abendessen waren wir in einem R e staurant hinter dem Théâtre Royal.«
»Im ›La Bécasse‹«, warf Monsieur Delvigne ein. »Dort ißt man gut!«
»Die Nierchen à la Liègeoise waren delikat, das stimmt! Ich hatte übrigens den Eindruck, daß Graph o pulos erstmals in Lüttich war. Das ›Hôtel Moderne‹ empfahl man ihm am Bahnhof. Und vom Hotel aus hat man ihn ins ›La Bécasse‹ geschickt. Der Portier des R e staurants schließlich erzählte ihm vom ›Gai-Moulin‹.«
»Wo er demnach ganz zufällig gelandet wäre«, b e merkte Kommissar Delvigne nachdenklich.
»Ich gebe zu, daß ich da nicht Bescheid weiß. Ich betrat das Lokal wenig später als er. Bereits hatte sich eine Tänz e rin an seinen Tisch gesetzt, was ziemlich natürlich ist. O f fen gestanden habe ich mich gräßlich g e langweilt, weil ich solche Nachtlokale verabscheue. Z u erst dachte ich, er würde die Frau mit sich nehmen. Als ich sah, daß sie sich anschickte, allein zu gehen, habe ich sie ein Stück weit b e gleitet, lang genug, um ihr zwei, drei Fragen zu stellen. Sie sagte mir, daß sie den Fre m den zum ersten Mal gesehen hätte, ein Rendezvous, das er ihr gab, nicht einhalten wü r de, und sie fügte hinzu, daß er ein Langweiler sei.
Das ist alles. Ich ging dann zurück. Der Patron kam mit dem Kellner zusammen heraus. Ich nahm an, Graphopulos sei gegangen, während ich ihn aus den A u gen ließ, und ich hielt kurz noch in den angrenzenden Straßen Ausschau nach ihm.
Ich kehrte ins Hotel zurück, um mich zu vergewi s sern, daß er nicht dort war. Als ich wieder zum ›Gai-Moulin‹ kam, waren die Türen noch immer verschlossen und drinnen alles dunkel.
Ein denkbar negatives Ergebnis, also. Allerdings nahm ich die Sache nicht tragisch. Ich fragte einen Pol i zisten nach anderen, noch offenen Nachtlokalen. Er nannte mir vier oder fünf, die ich gewissenhaft abg e klappert habe, ohne indessen meinen Griechen wiede r zufinden. «
»Unglaublich!« murmelte Monsieur Delvigne.
»Warten Sie! Ich hätte zu Ihnen kommen und die Nachforschung in Zusammenarbeit mit der Lütticher P o lizei fortsetzen können. Doch in Anbetracht dessen, daß ich im ›Gai-Moulin‹ gesehen worden war, zog ich es vor, den Mörder nicht zu warnen. Es gibt schließlich nur w e nige Personen, die als Täter in Frage kommen. Ich habe mit den beiden Burschen angefangen, deren Nervosität mir nicht entgangen war. Das hat mich zu Adèle geführt und zum Zigarettenetui des Toten.
Sie haben die Entwicklung beschleunigt: Verhaftung von Jean Chabot. Flucht von Delfosse. Konfrontation. All das erfuhr ich nur aus den Zeitungen. Und bei gle i cher Gelegenheit bekam ich mit, daß ich als Verdächt i ger gesucht war.
Das ist’s soweit. Ich nutzte die Chance.«
»Welche Chance?«
»Zuvor eine Frage: Glauben Sie an die Schuld der beiden Burschen?«
»Offen gesagt … «
»Gut. Ich sehe, daß Sie nicht daran glauben. Ni e mand tut es, und der Mörder weiß genau, daß man über kurz oder lang anderswo suchen wird. Dementspr e chend sieht er sich vor, und man kann nicht damit rechnen, daß er eine Unvorsichtigkeit begeht.
Andrerseits existieren starke Verdachtsmomente gegen den Mann mit den breiten Schultern, wie es in den Ze i tungen heißt. Und nun ist der Mann mit den breiten Schultern verhaftet worden, unter ziemlich theatral i schen Umständen. Für jedermann steht fest, daß heute abend der wahre Schuldige erwischt wurde.
Diese Auffassung gilt es zu bestärken. Morgen müssen die Leute erfahren, daß ich im Gefängnis Saint-Léonard sitze und man ein baldiges Geständnis erhofft.«
»Sie wollen wirklich ins Gefängnis?«
»Warum nicht?«
Es fiel Monsieur Delvigne schwer, sich mit dieser Idee
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