Maigret und der Spion
Monsieur Henry … Ihr Mann?«
Sie lachte, wobei ihr üppiger weicher Busen wogte.
»Das ist der Patron … Ich bin bloß Serviererin … Nicht doch! Man sieht uns, ich schwör’s!«
»Trotzdem … Ich möchte … «
»Was?«
Der Mann war ganz rot. Er wußte nicht mehr, woran er war, wie weit er gehen durfte. Er musterte seine mo l lige, frische Gefährtin mit glänzenden Augen.
»Ist es nicht möglich, irgendwo ein bißchen für uns zu sein? … « flüsterte er.
»Bist du verrückt? … Wozu denn? … Wir haben hier einen anständigen Betrieb und … «
Sie unterbrach sich, horchte erneut. Droben schien es eine Auseinandersetzung zu geben! Monsieur Henry antwortete mit ruhiger, fester Stimme jemandem, der ihm heftige Vorwürfe machte.
»Ein richtiger Bub«, sagte die üppige Frau. »So einer kann einem leid tun! … Noch keine zwanzig und b e säuft sich … Dabei hat er das ganze Lokal freigehalten, den tollen Kerl gespielt und sich von allen ausnützen lassen.«
Oben ging die Tür auf. Die Stimmen wurden deutl i cher.
»Ich sage Ihnen, ich hatte Hunderte von Franc in der Tasche!« kreischte der junge Mann. »Man hat sie mir gestohlen! … Ich will mein Geld wieder … «
»Sachte, sachte! Hier gibt’s keine Diebe! Wären Sie nicht sternhagelvoll gewesen … «
»Sie haben mir ja zu trinken ausgeschenkt … «
»Wenn ich Leuten zu trinken ausschenke, nehme ich an, daß sie schlau genug sind, auf ihre Brieftasche zu achten … Nicht genug! Ich mußte Sie auch noch bre m sen … Auf die Straße sind Sie gelaufen und haben die Nutten hereingeholt, angeblich weil die Serviererin nicht nett genug zu Ihnen war. Und Sie wollten ein Zimmer … und was weiß ich nicht noch alles … «
»Geben Sie mir mein Geld zurück! … «
»Ich hab Ihr Geld nicht, und wenn Sie weiter Radau machen, rufe ich die Polizei … «
Monsieur Henry regte sich nicht im geringsten auf. Aufgeregt war nur der junge Mann, der jetzt rückwärts die Treppe herunterkam, wobei er nicht aufhörte zu z e tern.
Er hatte abgespannte Züge, Ringe unter den Augen, einen bösartig verzogenen Mund.
»Diebe seid ihr alle!«
»Sagen Sie das nochmal! … «
Monsieur Henry sprang ein paar Stufen hinab, packte den Burschen am Kragen.
Plötzlich wurde es fast dramatisch. Der Junge zog e i nen Revolver aus der Tasche und brüllte:
»Lassen Sie mich los, oder … «
Der Vertreter drückte sich an seine Lehne, griff ängs t lich nach dem Arm seiner Nachbarin, die vorstürzen wollte.
All das war überflüssig. Monsieur Henry, an Schläg e reien gewöhnt, führte einen harten Hieb gegen den Vo r derarm seines Gegners, und der Revolver fiel zu Boden.
»Mach die Tür auf!« wies er, nun doch keuchend, die Frau an.
Und als das geschehen war, beförderte er den Bu r schen mit kräftigem Schwung an die Luft, so daß er mitten auf dem Gehsteig landete. Dann hob er den R e volver auf und warf ihn hinterher.
»Diese Rotznasen, die einen im eigenen Haus b e schimpfen! … Gestern spielte er sich groß auf und zeigte jedem, wieviel Geld er hat … «
Er strich sein Haar wieder glatt, warf einen Blick nach der Tür, entdeckte die Uniform eines Polizisten.
»Sie sind Zeuge, daß er mich bedroht hat, nicht wahr!« sagte er zu dem betretenen Gast. »Übrigens kennt die Polizei unsern Betrieb … «
Da stand nun René Delfosse mit verdreckten Kle i dern, knirschte vor Wut mit den Zähnen und antwort e te dem Polizisten, ohne zu wissen, was er sagte.
»Sie behaupten, Sie seien bestohlen worden? Wer sind Sie überhaupt? Zeigen Sie mal Ihre Papiere … Und wem gehört diese Waffe? … «
Leute blieben stehen. Aus der Tür einer Straßenbahn lehnten sich Fahrgäste.
»Kommen sie mal mit aufs Revier … «
Dort angekommen, wurde Delfosse von einem solchen Wutanfall gepackt, daß der Polizist etliche Tritte an die Schienbeine abbekam. Vom Kommissar vernommen, gab der junge Mann zunächst an, er sei Franzose und am Vorabend in Lüttich angekommen. »In dieser Bar hat man mich betrunken gemacht und mein ganzes Geld g e stohlen … «
Doch ein Polizeibeamter, der in einer Ecke stand, beobachtete ihn. Dann redete er leise mit dem Kommi s sar. Dieser lächelte zufrieden.
»Heißen Sie nicht vielmehr René Delfosse?«
»Das geht Sie nichts an … «
Selten hatte man einen so cholerischen Kunden e r lebt. Er wußte nicht aus, nicht ein, sein Mund war ve r zerrt.
»Und das Geld, das man Ihnen wegnahm, war das nicht das einer gewissen Tänzerin gestohlene
Weitere Kostenlose Bücher