Maigret und der Spion
«
»Warten Sie! Ja, vielleicht … Da stand jemand in e i ner Nische, und ich meine jetzt, daß er es vielleicht war … «
»Vielleicht?«
»Sicherlich … Ja … «
Aufrecht in dem kleinen Büro wirkte Maigret enorm. Doch als er sprach, war es eine leise, sehr sachte Stimme, die man vernahm.
»Sie hatten keine Taschenlampe, nicht wahr?«
»Nein … Warum?«
»Und Sie haben das Licht im Saal nicht eingeschaltet … Also begnügten Sie sich damit, ein Streichholz anz u zünden … Würden Sie mir sagen, wie weit Sie von der Leiche entfernt waren?«
»Aber … Ich weiß nicht … «
»Weiter als die Entfernung von einer Wand bis zur anderen hier im Büro?«
»Ungefähr gleich weit … «
»Also, vier Meter etwa … Und Sie waren aufgeregt … Es war Ihr erster richtiger Einbruch … Sie sahen eine Gestalt daliegen und nahmen gleich an, es sei eine Le i che …
Sie sind nicht näher herangegangen, haben die Gestalt nicht angefaßt … Somit können Sie nicht sicher sein, daß der Mann nicht mehr geatmet hat … Wer hielt das Streichholz? … «
»Ich«, gestand Delfosse.
»Brannte es lang?«
»Ich ließ es sofort fallen … «
»Also war die angebliche Leiche nur ein paar Seku n den beleuchtet! Sind Sie sicher, Delfosse, daß Sie Graphopulos erkannt haben?«
»Ich habe schwarze Haare gesehen … «
Verwundert schaute er sich um. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß man ihn regelrecht verhörte und er sich manipulieren ließ. Er knurrte:
»Ich antworte nur noch dem Kommissar. «
Dieser hatte den Telefonhörer abgehoben. Delfosse zuckte zusammen, als er hörte, welche Nummer er ve r langte.
»Hallo! Ist dort Monsieur Delfosse? … Ich möchte nur erfahren, ob Sie noch immer bereit sind, die Kaut i on von fünfzigtausend Franc zu leisten … Ich habe darüber mit dem Untersuchungsrichter gesprochen, der seinerseits die Staatsanwaltschaft anfragte … Ja … Ei n verstanden … Nein, bemühen Sie sich nicht … Das geht besser direkt … «
René Delfosse begriff noch nicht. Jean Chabot rührte sich nicht in seiner Ecke.
»Sie bleiben also dabei, Delfosse, daß Chabot für alles verantwortlich ist? … «
»Ja.«
»Nun, Sie sind frei … Gehen Sie nach Hause … Ihr Vater hat versprochen, Ihnen keinerlei Vorwürfe zu m a chen … Einen Augenblick noch … Sie, Chabot, bleiben dabei, daß Delfosse das Geld gestohlen hatte, das Sie verschwinden lassen wollten?«
»Er war es … Ich … «
»In diesem Fall, macht das unter euch ab … Verzieht euch, beide! … Versucht bloß, keinen Skandal zu ve r anstalten und euch möglichst unauffällig zu bene h men.«
Mechanisch hatte Maigret seine Pfeife aus der Tasche gezogen. Aber er zündete sie nicht an. Er betrachtete die beiden Burschen, die, ganz ratlos, nicht wußten, was sie tun oder sagen sollten. Kommissar Delvigne mußte au f stehen und sie zur Tür hinausschieben.
»Keinen Streit, hört ihr! … Vergeßt nicht, daß ihr bis auf weiteres zur Verfügung des Gerichts bleibt. «
Mit raschen Schritten durchquerten sie das Büro der Inspektoren, und schon unter dessen Tür wandte sich Delfosse wütend seinem Kameraden zu und setzte zu einer heftigen Rede an, die man nicht mehr hörte.
Das Telefon klingelte.
»Hallo! Ist dort Kommissar Delvigne? … Entschuld i gen Sie, daß ich Sie störe, Herr Kommissar. Hier spricht Chabot, der Vater … Darf ich Sie fragen, ob es etwas Neues gibt? … «
Der Kommissar lächelte, legte seine Meerschaumpfe i fe auf den Tisch, zwinkerte Maigret zu:
»Delfosse ist soeben zur Tür hinaus in Begleitung I h res Sohnes … «
»Aber ja doch! Sie werden sicher in ein paar Minuten bei Ihnen sein … Hallo … Ich würde Ihnen raten, sich nicht allzu streng zu zeigen.«
Es regnete. Auf der Straße liefen Chabot und Delfosse rasch den Gehsteig entlang, sich unerkannt durch die Menge schlängelnd. Ihr Gespräch konnte kaum als a n gelegentlich bezeichnet werden. Aber alle hundert Meter wendete sich einer von ihnen seinem Gefährten zu, um ihm eine bissige Bemerkung an den Kopf zu werfen, die eine gehässige Entgegnung auslöste.
An der Ecke der Rue Puits-en-Soc gingen sie ausei n ander, der eine nach rechts, der andere nach links, jeder unterwegs nach Hause.
»Er ist frei, Monsieur! Es wurde festgestellt, daß er u n schuldig war!«
Und Monsieur Chabot verließ sein Büro, wartete auf die Straßenbahn Nr. 4 , stieg dann beim Wagenführer ein, der ihn seit Jahren kannte.
»Achtung! Bloß keine Panne jetzt!
Weitere Kostenlose Bücher