Maigret und der Spion
n ken. Nun ist er allein in der Dunkelheit des geschloßenen Nachtlokals … Er braucht nur noch die Dokumente zu suchen, die man von ihm verlangt …
Doch er hat noch keinen Schritt getan, als sich eine Tür Öffnet. Ein Streichholz zischt.
Er ist erschreckt … War er nicht schon vorher verän g stigt? … Er hat nicht den Mut, anzugreifen … Er spielt lieber den toten Mann …
Und dann sieht er seine Gegner … Zwei Burschen, die noch erschrockener sind als er und die Flucht ergre i fen! … «
Niemand rührt sich. Alles scheint den Atem anzuha l ten. Die Gesichter sind angespannt, während Maigret gleichmütig fortfährt:
»Graphopulos, wieder allein, stöbert beharrlich nach den Dokumenten, die seine neuen Chefs von ihm ang e fordert haben … Chabot und Delfosse schlingen ve r stört ihre Muscheln und Pommes frites hinunter, um sich dann zu trennen …
Aber eine Erinnerung verfolgt Delfosse … ›Hôtel M o derne‹ Zimmer 18 … Diese Worte hat er genau verno m men. Und der Fremde schien reich zu sein … Er seine r seits hatte eine gerade krankhafte Gier nach Geld … Nachts in ein Hotel einzudringen, ist ein Kinderspiel … Der Zimmerschlüssel würde sicherlich am Brett hängen … Und da Graphopulos tot ist! Da er sein Zimmer nie mehr betreten wird! …
Er geht hin. Der verschlafene Portier denkt nicht daran, ihm Fragen zu stellen. Er gelangt nach oben, durc h sucht das Gepäck des Fremden …
Schritte im Gang … Die Tür geht auf …
Und Graphopulos tritt ein! … Graphopulos, der tot sein müßte! …
Delfosse ist derart verängstigt, daß er ohne zu überl e gen in der Dunkelheit mit aller Kraft zuschlägt, mit se i nem Stock, dem Rohrstock mit goldenem Knauf seines Vaters, den er an diesem Abend mitgenommen hat, wie schon oft … Er ist geradezu von Sinnen, fast unzurec h nungsfähig … Er nimmt die Brieftasche … Er flieht …
Draußen vielleicht, unter einer Gaslaterne, prüft er den Inhalt … Er sieht, daß er da etliche Zehntausende von Franc hat und verfällt auf den Gedanken, mit Adèle wegzufahren, die er schon lange begehrt.
Ein Leben auf großem Fuß, im Ausland … Ein Leben auf großem Fuß mit einer Frau! … Wie ein richtiger Mann! … Wie sein Vater! …
Aber Adèle schläft … Adèle will nicht wegfahren … Er versteckt die Brieftasche bei ihr, weil er Angst hat. Er ahnt nicht im mindesten, daß genau an der gleichen Stelle Gén a ro und Victor seit Monaten, vermutlich seit Jahren, die D o kumente ihres Spionagerings in Siche r heit bringen …
Denn sie gehört dazu! Sie gehören alle dazu!
Delfosse hat nur die belgischen Scheine bei sich b e halten, ungefähr zweitausend Franc, die er in der Brie f tasche gefunden hat … Der Rest, das heißt das französ i sche Geld, ist zu kompromittierend!
Am nächsten Tag liest er die Zeitungen … Das Opfer, sein Opfer, ist nicht im Hotel, sondern im Zoo entdeckt worden.
Er versteht gar nichts mehr. Er ist wie im Fieber, läuft zu Chabot, überredet ihn, mitzukommen. Angeblich bestiehlt er seinen Onkel, um die zweitausend Franc zu erklären, die er bei sich hat …
Er muß das Geld loswerden … Er beauftragt Chabot damit … Er ist feige, schlimmer als feige, er ist ein ger a dezu pathologischer Fall. Im Grunde verübelt er seinem Freund, daß er sich nicht mitschuldig gemacht hat … Er möchte ihn kompromittieren, ohne indessen zu wagen, konkret etwas zu unternehmen.
Hat er es ihm nicht schon seit jeher verübelt? … Ein Neid, ein Haß, ziemlich komplex … Chabot ist redlich, war es zumindest … Und ihn quälen vielerlei zweifelha f te Gelüste … So läßt sich diese seltsame Freundschaft erklären, ebenso Delfosses Bedürfnis, ständig von se i nem Freund begleitet zu sein.
Er läßt ihn nicht in Ruhe zu Hause … Er kann nicht allein bleiben … Und er verwickelt den anderen in seine Unredlichkeiten, seine kleinen Diebereien in der Fam i lie, mit denen sich die Justiz nicht befaßt …
Chabot kommt von der Toilette nicht zurück … Ch a bot ist verhaftet … Delfosse sucht ihn nicht … Er trinkt … Und er braucht jemand, der mit ihm trinkt … Eines gibt es, das er nicht ertragen kann: Einsamkeit … Betru n ken geht er mit der Tänzerin in ihre Wohnung, schläft dort ein … Im Morgengrauen fällt ihm voller En t setzen seine Lage wieder ein … Zweifellos sieht er den auf der Straße postierten Inspektor …
Er traut sich nicht, an Graphopulos’ Geld zu rühren, das auf der Garderobe liegt … Es sind
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