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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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waren ziemlich weit vom Kanal entfernt, so daß sich dieses ebenmäßige, bewegungslose Wasserband durch eine absolute Einsamkeit hinzuziehen schien.
    Hier und da ein Feld und Menschen, die sich zur dunklen Erde niederbeugten. Aber fast überall säumten Wälder den Weg. Und das Schilf, einen Meter fünfzig bis zwei Meter hoch, ließ den Eindruck der Stille noch vollkommener erscheinen.
    In der Nähe eines Steinbruchs wurde ein Kahn mit Kreide beladen, inmitten einer Staubwolke, die seine Planken und auch die Männer, die dort arbeiteten, mit feinem Weiß überzog.
    In der Schleuse von Saint-Martin lag ein Schiff, aber es war noch nicht die ›Providence‹.
    »Die wird bestimmt im Abschnitt oberhalb von Châlons Mittagspause machen!« erklärte die Schleusenwärterin, die von einem Tor zum anderen ging, während ihre beiden Kinder sich an ihre Rockschöße klammerten.
    Maigret machte ein entschlossenes Gesicht. Gegen elf Uhr fand er sich zu seiner Überraschung in einer frühlingshaften Umgebung wieder, in einer Atmosphäre, die vor Sonne und Wärme vibrierte.
    Vor ihm zeichnete sich der Kanal auf eine Länge von sechs Kilometern als schnurgerade, auf beiden Seiten von Tannenwäldern gesäumte Linie ab.
    Am anderen Ende konnte man die hellen Mauern einer Schleuse ahnen, aus deren Toren dünne Wasserstrahlen herausschossen.
    Auf halbem Wege lag ein Schleppkahn bewegungslos im Wasser, ein wenig schräg versetzt. Die beiden Pferde waren ausgespannt. Sie hatten die Köpfe tief in einen Sack gesteckt, aus dem sie Hafer fraßen, und schnaubten ab und zu.
    Der erste heitere oder zumindest geruhsame Anblick! Weit und breit war kein Haus zu sehen. Und das stille Wasser warf großflächige und träge Spiegelbilder zurück.
    Noch ein paarmal mußte der Kommissar in die Pedale treten, dann erkannte er am Heck des Kahns einen gedeckten Tisch unter der geteerten Plane, die das Ruder überdachte. Das Wachstuch war blauweiß kariert. Eine Frau mit blondem Haar stellte eine dampfende Schüssel in die Mitte.
    Er stieg ab, nachdem er auf dem plumpen, grünlich überzogenen und naßglänzenden Schiffsrumpf gelesen hatte: »La Providence«.
    Eines der Pferde sah ihn lange an, zuckte mit den Ohren und gab einen seltsam grunzenden Laut von sich, ehe es wieder zu fressen begann.
     
    Zwischen dem Kahn und dem Ufer gab es nur eine dünne und schmale Planke, die sich unter dem Gewicht Maigrets durchbog. Zwei Männer saßen beim Essen und verfolgten ihn mit den Augen, während die Frau auf ihn zukam.
    »Was gibt es denn?« fragte sie und knöpfte dabei ihre Bluse zu, die sie nur halb über der üppigen Brust geschlossen hatte.
    Ihr Akzent erinnerte beinahe an den Singsang der Südfranzosen. Sie war nicht beunruhigt. Sie wartete. Sie schien die beiden Männer mit ihrer fröhlichen Leibesfülle zu beschützen.
    »Eine Auskunft«, sagte der Kommissar. »Sie wissen doch sicher, daß in Dizy ein Mord begangen wurde …«
    »Die Leute von der ›Castor und Pollux‹, die uns heute morgen überholt hat, haben uns davon erzählt. Dann stimmt es also wirklich? Das ist doch kaum vorstellbar, nicht? Wie soll das denn passiert sein? Und das hier am Kanal, wo doch alles so ruhig ist!«
    Ihre Wangen überzogen sich mit dunkelroten Flecken. Die beiden Männer aßen immer noch, ohne Maigret aus den Augen zu lassen. Und dessen Blick fiel unwillkürlich auf die Teller mit schwärzlichbraunem Fleisch, dessen Duft ihn überraschte.
    »Eine Ziege, die ich heute morgen an der Schleuse von Aigny gekauft habe … Sie wollten eine Auskunft von uns? Aber wir, wir waren doch schon weg, bevor man die Leiche entdeckte. Übrigens, diese arme Frau, weiß man endlich, wer sie war?«
    Einer der beiden Männer war klein und hatte braunes Haar, einen hängenden Schnurrbart und etwas Weiches, Fügsames in seinem ganzen Wesen.
    Das war ihr Mann. Er hatte sich damit begnügt, den Eindringling mit einer undeutlichen Geste zu grüßen, und überließ es seiner Frau, mit ihm zu reden.
    Der andere mochte sechzig Jahre sein. Seine dichten, schlecht geschnittenen Haare waren weiß. Ein drei oder vier Zentimeter langer Bart bedeckte sein Kinn und den größten Teil der Wangen, so daß er, da auch die Brauen sehr buschig waren, so behaart wie ein Tier aussah.
    Seine Augen waren hingegen hell und ausdruckslos.
    »Ich wollte Ihrem Treidler ein paar Fragen stellen.«
    Die Frau lachte.
    »Jean? Ich muß Ihnen gleich sagen, daß er nicht sehr gesprächig ist. Das ist unser Bär! Sehen Sie

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