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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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abgeschlossen durch Gatten 1925 bei Abeille, dreihunderttausend ausbezahlt. Henry Gallet seit Donnerstag wieder bei Sovrinos tätig.
    Eléonore Boursang von Paris abwesend, Urlaub an der Loire.
     
    »Donnerwetter!« brummte Maigret. Nachdenklich starrte er vor sich hin, dann wandte er sich an Moers.
    »Sind Sie in Versicherungsfragen einigermaßen bewandert?«
    »Das kommt darauf an«, meinte der junge Mann bescheiden. Die Gläser seines Kneifers standen so nahe beisammen, daß das Gesicht darunter fast eingefallen wirkte.
    »1925 war Gallet über fünfundvierzig. Und leberkrank! Wie hoch schätzen Sie die Jahresprämie, die er für eine Lebensversicherung von dreihunderttausend bezahlen mußte?«
    Moers bewegte lautlos die Lippen. Keine zwei Minuten später erklärte er:
    »Auf etwa zwanzigtausend pro Jahr. Aber auch so muß es ihn allerhand gekostet haben, bis eine Versicherungsgesellschaft ein solches Risiko einging.«
    Der Kommissar bedachte das Porträt, das auf dem schwarzen Kaminsims stand – so wie es auf dem Klavier in Saint-Fargeau gestanden hatte –, mit einem wütenden Blick.
    »Zwanzigtausend! Dabei verbrauchte er im Monat knapp zweitausend, das heißt, etwa die Hälfte dessen, was er den Anhängern der Bourbonen mit Ach und Krach abknöpfte!«
    Von dem Bild schweifte sein Blick zu der unförmigen, abgewetzten und an den Knien ausgebeulten schwarzen Hose auf dem Fußboden.
    Er dachte an Madame Gallet in ihrem malvenfarbenen Seidenkleid, an ihren Schmuck, ihre schneidende Stimme.
    Man konnte beinahe hören, was er dachte.
    »So sehr hat er sie also geliebt!«
    Kopfschüttelnd trat er ans Fenster und betrachtete wieder die Mauer, die Emile Gallet acht Tage zuvor in Hemdsärmeln, Weste und gestärkter Hemdbrust erklettert hatte.
    Etwas wie Erschöpfung lag in seiner Stimme, als er nach einer Weile zu sprechen begann.
    »Im Kamin liegt noch eine Menge Asche. Versuchen Sie, etwas mehr über diesen Jacob herauszufinden … Wer war doch gleich der Idiot, der sagte, er kenne nur den biblischen?«
    Ein kleiner Junge mit einem Gesicht voller Sommersprossen tauchte, von einem Ohr zum andern grinsend, am Fenster auf. Von der Terrasse ertönte eine träge Männerstimme:
    »Daß du mir die Herren nicht bei ihrer Arbeit störst, Emile!«
    »Noch ein Emile«, knurrte Maigret. »Aber der ist wenigstens quicklebendig, wogegen der andere …«
    Er brachte es fertig, aus dem Zimmer zu gehen, ohne das Foto noch einmal anzusehen.

7
Das Ohr des Joseph Moers
    Die Hundstage dauerten an. Jeden Morgen berichteten die Zeitungen von verheerenden Gewittern in den verschiedensten Gebieten Frankreichs, doch in der Umgebung von Sancerre war seit drei Wochen kein Tropfen Regen gefallen.
    Am Nachmittag war das Zimmer, das Emile Gallet bewohnt hatte, der prallen Sonne ausgesetzt und so heiß, daß kein normaler Mensch es darin aushielt.
    Joseph Moers schien die Hitze nicht zu spüren. An diesem Samstag war er nach einer knappen halben Stunde Mittagspause in das Zimmer zurückgekehrt, hatte die Rollgardine heruntergelassen und gleichmäßig wie ein Metronom wieder mit seinen Glasscheibchen und verkohlten Papierresten zu hantieren begonnen.
    Maigret hingegen schwitzte aus allen Poren, während er im Zimmer umherwanderte, bald diesen, bald jenen Gegenstand anfaßte und wieder hinstellte, ohne zu wissen, was er tat.
    »Ich gebe auf«, erklärte er nach einer Weile. »Ich bewundere Sie, aber schließlich wiegen Sie nicht zweihundertzehn Pfund … Ich muß ein bißchen Luft schnappen …«
    Aber wo? Auf der Terrasse war es zwar einigermaßen kühl, doch dort hatten sich sämtliche Hotelgäste mit Kind und Kegel breitgemacht.
    Im Café wurde Billard gespielt, und das ewige Klicken der Kugeln ging dem Kommissar auf die Nerven.
    Maigret beschloß, sich im Hof niederzulassen, der zur Hälfte im Schatten lag.
    »Bringen Sie mir einen Liegestuhl!« rief er im Vorbeigehen einer Kellnerin zu.
    »In den Hof? Da werden Sie aber den ganzen Lärm aus der Küche hören!«
    Und wenn schon! Küchenlärm und Hühnergegacker waren immer noch besser als das Geschwätz auf der Terrasse. Maigret klappte den Liegestuhl neben dem Brunnen auf, breitete eine Zeitung übers Gesicht, um sich vor den Fliegen zu schützen, und wurde gleich darauf von wohliger Schläfrigkeit übermannt. Das Klappern von Geschirr, das aus der Spülküche drang, wurde nach und nach unwirklicher, und in Maigrets benommenem Gehirn begannen die quälenden Gedanken an den toten Gallet zu

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