Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
entfernt. Da türmten sich geborstene Fässer mit gesprungenen Reifen, leere Weinflaschen und Arzneifläschchen, Kisten, eine zerbrochene Sichel, verrostetes Werkzeug, alte Witzzeitungen, zu Bündeln verschnürt, vom Regen durchnäßt, von der Sonne getrocknet und gebleicht und mit Erde verschmiert – alles in allem ein trostloser Anblick.
Maigret überzeugte sich, daß der Waldboden unter ihm keine Fußabdrücke aufwies. Dann setzte er, um die Mauer nicht zu beschädigen, zum Sprung an und landete prompt auf allen vieren.
Von der Villa konnte er in dem Blättergewirr nur da und dort ein Stück Fassade erkennen. Irgendwo ratterte ein Motor. Bei seinem ersten Besuch hatte Maigret bemerkt, daß das Wasser aus dem Sodbrunnen in die Tanks im Hausinnern gepumpt wurde.
Schwärme von Fliegen schwirrten über dem Kehrichthaufen, so daß der Kommisar ständig um sich schlagen mußte, um sie zu verscheuchen, was er mit wachsendem Ärger tat.
»Fangen wir bei der Mauer an …«
Das war im Handumdrehen erledigt. Die Mauer war im Frühjahr außen wie innen frisch getüncht worden und an der Stelle, wo Gallet gestanden haben mußte, weder beschmutzt noch zerkratzt. Auch Fußspuren waren in einem Umkreis von zehn Metern keine zu sehen.
In der Nähe der Kehrichtablage dagegen stand ein Faß an der Mauer. Jemand mußte es vom Abfallhaufen weggerollt und dort aufgestellt haben. Maigret stieg hinauf. Sein Kopf ragte genau zehneinhalb Meter von seinem ursprünglichen Standort entfernt über die Mauer.
Auch von hier aus konnte er Moers in seinem Zimmer arbeiten sehen, unverdrossen und ohne sich auch nur einmal die Zeit zu nehmen, sich die schweißfeuchte Stirn zu trocknen.
»Immer noch nichts?«
» Clignancourt … Aber inzwischen habe ich noch ein besseres Stück gefunden …«
Maigret inspizierte die Moosdecke, soweit er sie überblicken konnte. Beschädigt war sie hier nicht, nur etwas zerdrückt, als hätte sich jemand darauf gestützt.
Maigret ahmte die Bewegung nach, indem er seine Ellenbogen an einer noch unberührten Stelle ins Moos preßte. Das Ergebnis befriedigte ihn.
»Bis hierher ist alles klar. Emile Gallet steigt auf die Mauer, aber den Park betritt er nicht … Im Park wiederum befindet sich jemand, der sich zwar auf das Faß, nicht aber auf die Mauerbrüstung schwingt und infolgedessen das Grundstück nicht – oder zumindest nicht auf diesem Wegverläßt. «
Wie ließ sich das logisch erklären? Hätte es sich bei den nächtlichen Spaziergängen um einen jungen Mann und ein junges Mädchen gehandelt, wäre das Ganze einigermaßen begreiflich gewesen. Dann aber hätten er oder sie dieses Faß näher an den Ort des Stelldicheins gerückt.
Doch von einem romantischen Rendezvous konnte hier nicht die Rede sein! Einer der beiden war unzweifelhaft Monsieur Gallet, der, ganz entgegen seinen Gepflogenheiten, eine Kletterpartie unternommen und sich zu diesem Zweck sogar seines Jacketts entledigt hatte.
Konnte der andere Tiburce de Saint-Hilaire gewesen sein?
Sie hatten sich zweimal getroffen, erst am Vormittag, dann am Nachmittag, und auch gar kein Geheimnis daraus gemacht. Es war kaum anzunehmen, daß sie sich noch ein drittes Mal sehen wollten, noch dazu in der Dunkelheit und an dieser unwahrscheinlichen Stelle.
Und auf zehn Meter Distanz! Selbst wenn sie halblaut gesprochen hätten, hätten sie einander unmöglich hören können.
Oder waren sie vielleicht unabhängig voneinander hierhergekommen, zuerst der eine, dann der andere? …
Und welcher hatte als erster die Mauer erklettert? Hatten die beiden einander überhaupt gesehen?
Von dem Faß bis zu Gallets Zimmer waren es etwa sieben Meter. Das entsprach der Distanz, aus der der Schuß abgegeben worden war.
Als Maigret sich umwandte, fiel sein Blick auf den Gärtner, der mit verlegener Miene zu ihm aufsah.
»Ach, du bist es«, bemerkte der Kommissar. »Ist dein Herr zu Hause?«
»Nein, er ist fischen gegangen.«
»Du weißt, daß ich von der Kriminalpolizei bin, nicht wahr? Ich möchte hier raus, aber nicht unbedingt über diese Mauer. Kannst du mir das alte Parktor aufmachen?«
»Klar«, erwiderte der Alte und schlurfte Maigret voraus.
»Hast du den Schlüssel?«
»Nein. Aber Sie werden gleich sehen …«
Am Tor blieb er stehen, steckte die Hand in eine Mauerlücke, stutzte und zog sie verblüfft wieder heraus.
»Wo zum Teufel …«
»Nun?«
»Er ist nicht mehr da! Ich habe ihn doch selber in dieses Loch gesteckt, als sie im vergangenen Herbst
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