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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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… Ich bitte dich, Aurore! Mach kein solches Gesicht! Der Kommissar wird glauben, du seist in Gallets Betrügereien verwickelt gewesen und habest ein schlechtes Gewissen …«
     
    Maigret wich noch rechtzeitig einen Schritt zurück, bevor die beiden Frauen den Salon betraten. Sie entsprachen nicht ganz der Vorstellung, die er sich von ihnen gemacht hatte, während er ihre Unterhaltung belauschte.
    Madame Gallet benahm sich kaum weniger distanziert als bei seinem ersten Besuch. Ihre Schwester mochte etwa zwei, drei Jahre jünger sein. Ihr stark geschminktes Gesicht unter dem blondgefärbten Haar wirkte energisch und hochmütig.
    »Haben Sie etwas Neues erfahren?« fragte die Witwe in müdem Ton. »Bitte, setzen Sie sich! Darf ich Sie mit meiner Schwester bekannt machen? Sie kam gestern aus Epinal …«
    »Ihr Gatte ist Gerber, wenn ich nicht irre?«
    »Besitzer mehrerer Gerbereien«, berichtigte Françoise spitz.
    Maigret blickte Madame Gallet fragend an.
    »Ihre Schwester war nicht am Begräbnis, nicht wahr? Und es sind jetzt drei Tage her, seitdem bekannt wurde, daß Sie in den Genuß einer Lebensversicherung von dreihunderttausend Franc gekommen sind …«
    Er sprach unbeholfen, und seine Augen wanderten scheinbar ziellos durch den Raum. Er war ohne bestimmte Absicht nach Saint-Fargeau gefahren, nur von dem dumpfen Bedürfnis getrieben, sich noch einmal in die Atmosphäre des Hauses zu versenken und das lückenhafte Bild des Toten, das er ständig mit sich trug, zu ergänzen.
    Er wäre gern auch Henry Gallet noch einmal begegnet.
    »Ich möchte Sie etwas fragen«, fuhr er fort, ohne die beiden Frauen anzusehen. »Ihr Gatte, Madame, muß gewußt haben, daß Ihre Familie Sie verstoßen würde, wenn Sie ihn heirateten.«
    Es war Françoise, die antwortete.
    »Das stimmt nicht, Kommissar! Zu Beginn haben wir ihn als Schwager akzeptiert. Mein Mann riet ihm öfters, die Stelle zu wechseln, und bot ihm sogar seine Hilfe an. Erst als wir einsehen mußten, daß er sein Leben lang ein energieloser, untüchtiger Mensch sein würde, begannen wir ihn zu meiden … Er hätte uns allen schaden können …«
    »Und Sie, Madame Gallet«, fragte Maigret sanft. »Haben Sie Ihren Gatten jemals gedrängt, den Beruf zu wechseln? Haben Sie ihm jemals Vorwürfe gemacht?«
    »Ihre Fragen empfinde ich als eine unzumutbare Einmischung in mein Privatleben. Vorwürfe gemacht? Wie käme ich dazu?«
    Nach allem, was Maigret durch die Tür gehört hatte, war er auf eine neue Aurore Gallet gefaßt gewesen, eine Frau, die durch das Leid menschlicher geworden war und die ihren verächtlichen Hochmut abgelegt hatte. Jetzt mußte er feststellen, daß sie sich noch genauso hochmütig und verächtlich gab wie am ersten Tag.
    »Hatte Ihr Sohn ein gutes Verhältnis zu seinem Vater?«
    Wieder schaltete sich die Schwester dazwischen.
    »Henry, der wird es zu etwas bringen! Er ist ein echter Préjean, obschon er äußerlich seinem Vater gleicht. Nur gut, daß er aus dieser gräßlichen Umgebung hier flüchtete, als er volljährig wurde. Heute früh ist er tapfer wieder zur Arbeit gefahren, obgleich er in der Nacht einen schweren Anfall hatte … Die Leber …«
    Maigret betrachtete den Tisch, versuchte sich Emile Gallet in diesem Salon sitzend vorzustellen. Es gelang ihm nicht. Vielleicht weil der Raum nur benutzt wurde, wenn Besuch kam.
    »Wollten Sie noch etwas sagen, Kommissar?«
    »Nein. Ich muß mich jetzt verabschieden, meine Damen. Verzeihen Sie die Störung … Ach ja, noch eine letzte Frage:
    Besitzen Sie zufällig ein Foto Ihres Gatten aus der Zeit, da er in Indochina lebte? Er lebte doch dort vor Ihrer Heirat, nicht wahr?«
    »Ich bedaure, aber ich besitze keine Bilder aus jener Zeit. Mein Mann sprach selten über seine Vergangenheit …«
    »Wissen Sie, ob er studiert hat?«
    »Er war sehr gebildet. Ich erinnere mich, daß er mit meinem Vater oft über lateinische Texte diskutierte.«
    »Aber wo er studiert hat, wissen Sie nicht?«
    »Alles was ich weiß, ist, daß er aus Nantes stammte …«
    »Ich danke Ihnen und bitte nochmals um Verzeihung!«
    Er suchte seinen Hut, tastete sich rückwärts zur Tür und in den Flur. Und wieder fragte er sich, weshalb er in diesem Haus jedesmal eine sonderbare, unerklärliche Beklemmung empfand.
    »Hoffentlich wird mein Name nicht in den Zeitungen breitgeschlagen«, rief Françoise ihm nach, und in einem Ton, der an Arroganz grenzte, fuhr sie fort: »Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß mein Mann dem

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