Maigret und die Affäre Saint Fiacre
…«
Maigret war an Jean Métayer herangetreten.
»Eine Frage …«
Er merkte, daß der junge Mann nervös war, vor Beklommenheit heftig atmete.
»Wann sind Sie zum letzten Mal beim Journal de Moulins gewesen?«
»Ich … Warten Sie …«
Er war nahe daran zu reden. Doch sein Mißtrauen erwachte. Er warf dem Kommissar einen argwöhnischen Blick zu.
»Warum fragen Sie mich das?«
»Das ist unwichtig.«
»Muß ich antworten?«
»Es steht Ihnen frei zu schweigen!«
Er war möglicherweise nicht auf den Kopf gefallen, aber jedenfalls stark beunruhigt, innerlich aufgewühlt. Es gab da eine übersteigerte Nervosität, die geeignet war, Dr. Bouchardon zu interessieren, der seinerseits auf den Pfarrer einredete.
»Ich weiß, daß man mir das Leben sauer machen wird! … Aber ich werde mich wehren …«
»In Ordnung, Sie werden sich wehren!«
»Erst mal will ich einen Anwalt … Das ist mein Recht … Übrigens, in welcher Eigenschaft sind Sie …«
»Augenblick! Haben Sie Jura studiert?«
»Zwei Jahre lang!«
Er bemühte sich, seine Fassung wiederzugewinnen, zu lächeln.
»Es liegt weder eine Anzeige vor noch ein offenkund i ges Vergehen … Also haben Sie keinerlei Veranlassung …«
»Ausgezeichnet! Sie sind auf der Höhe!«
»Der Arzt bestätigt …«
»Und ich behaupte, daß die Gräfin vom widerlichsten aller Schweinehunde umgebracht wurde. Lesen Sie das!«
Und Maigret streckte ihm das bedruckte Stück Papier zu. Erstarrend blickte Jean Métayer sein Gegenüber plötzlich an als wollte er ihm ins Gesicht spucken. »Schwei… Sie reden von einem … Ich verbitte mir …!«
Und der Kommissar, ihm sachte die Hand auf die Schulter legend:
»Aber, mein armer Mann, es war ja nicht die Rede von Ihnen , oder! Wo ist der Graf? Lesen Sie ruhig weiter. Sie können mir den Wisch später zurückgeben …«
Ein triumphierendes Aufleuchten in Métayers Augen.
»Der Graf diskutiert mit dem Verwalter über Schecks! … Sie werden sie in der Bibliothek finden! …«
Der Priester und der Arzt gingen voraus, und Maigret vernahm Dr. Bouchardons Stimme, die sagte:
»Nein, nein, Herr Pfarrer! Es ist menschlich! Einfach ganz menschlich! … Hätten Sie nur ein bißchen Physi o logie betrieben, statt die Schriften des heiligen Augustins durchzubüffeln! …«
Und der Kies knirschte unter den Schritten der vier Männer, die langsam die in der Kälte hell und trocken gewordenen Stufen der Schloßtreppe hinaufstiegen.
4
Marie Vassilew
M
aigret konnte nicht überall zugleich sein. Das Schloß war weitläufig. Deshalb hatte er nur einen ungefähren Überblick über die Ereignisse des Vo r mittags.
Es war jene Stunde, zu der an Sonn- und Feiertagen die Bauern den Aufbruch zur Heimkehr hinauszögern, das Vergnügen auskostend, stattlich gekleidet gruppenweise auf dem Dorfplatz oder in der Gaststube beisammen zu sein. Einige waren schon betrunken. Andere r e deten allzu laut. Und die Kinder in ihren steifen Kle i dern schauten bewundernd zum Vater auf.
Im Schloß Saint-Fiacre hatte sich Jean Métayer, gelblich im Gesicht, ganz allein in den ersten Stock hinaufbegeben, wo man ihn in einem der Räume umhergehen hörte.
»Wenn Sie mit mir kommen wollen …«, sagte der Arzt zum Priester. Und er zog ihn zum Zimmer der T o ten.
Im Erdgeschoß lief ein breiter Korridor die ganze Länge des Gebäudes entlang, mit einer Reihe darauf mündender Türen. Maigret vernahm Stimmengemurmel. Man hatte ihm gesagt, der Graf Saint-Fiacre und der Verwalter seien in der Bibliothek.
Dorthin wollte er, erwischte die falsche Türe, fand sich im Salon. Die Verbindungstüre zur Bibliothek stand offen. In einem goldgerahmten Spiegel nahm er als r e flektierte Szene den jungen Mann wahr, der mit niedergeschlagenem Ausdruck auf einer Ecke des Schreibtisches hockte, und den Verwalter, der auf seinen kurzen Beinen breit dastand.
»Sie hätten wissen müssen, daß es aussichtslos war zu insistieren!« sagte Gautier. »Zumal wegen vierzigtausend Franc!«
»Wer hat mir am Telefon geantwortet?«
»Monsieur Jean, natürlich!«
»Also ist meiner Mutter der Anruf gar nicht ausgerichtet worden!«
Maigret räusperte sich, betrat die Bibliothek.
»Von welchem Telefongespräch ist die Rede?«
Und Maurice de Saint-Fiacre antwortete ohne Verlegenheit:
»Von dem, das ich vorgestern mit dem Schloß geführt habe. Wie ich Ihnen sagte, brauchte ich Geld. Ich wollte meine Mutter um den nötigen Betrag bitten. Aber es war dieser … dieser …
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