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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Atmosphäre, die ihn schwer ankam. Er fühlte sich von diesem Drama persönlich betroffen, angewidert.
    Ja, angewidert! Das war das richtige Wort. Er hatte sich nicht vorgestellt, sein Dorf jemals so wiederzufinden. Bis zum Grab seines Vaters, wo der Stein schwär z lich geworden war und man ihm seine Pfeife verboten hatte! Jean Métayer, ihm gegenüber, benahm sich g e spreizt. Er wußte sich beobachtet. Er aß mit betont g e lassener Miene, versuchte sogar, ein geringschätziges L ä cheln aufzusetzen. »Ein Gläschen Schnaps?« schlug M a rie Tatin auch ihm vor.
    »Danke, ich trinke nie Alkohol!«
    Er war wohlerzogen. Er legte Wert darauf, unter allen Umständen seine guten Manieren zu demonstrieren. Im Gasthaus aß er mit den gleichen gezierten Gesten wie im Schloß.
    Als seine Mahlzeit beendet war, erkundigte er sich:
    »Gibt es hier ein Telefon?«
    »Nein, aber da gegenüber ist eine Kabine.«
    Er überquerte die Straße, betrat die Lebensmittelhandlung, die der Mesner betrieb und wo die Telefonzelle eingerichtet war. Er mußte eine Fernverbindung verlangt haben, denn man sah ihn lange im Laden warten, eine Zigarette nach der anderen rauchend.
    Als er zurückkam, hatten die Bauersleute die Gaststube verlassen. Marie Tatin spülte vorsorglich schon einmal die Gläser für die Vesper, die neue Gäste bringen würde.
    »Mit wem haben Sie telefoniert? Vergessen Sie nicht, daß ich nur an den Apparat zu gehen brauche, um es zu erfahren.«
    »Mit meinem Vater in Bourges.«
    Die Stimme war barsch, aggressiv.
    »Ich habe ihn gebeten, mir sofort einen Anwalt zu schicken.«
    Er gemahnte an einen grotesken Köter, der die Zähne zeigt, bevor man ihn überhaupt anfaßt.
    »Sind Sie denn so sicher, daß Sie belangt werden?«
    »Ich möchte Sie bitten, das Wort nicht mehr an mich zu richten, bis mein Anwalt eingetroffen ist. Sie können sich denken, wie sehr ich bedaure, daß es in dieser G e gend nur einen einzigen Gasthof gibt!«
    Hörte er wohl noch, was der Kommissar murmelte, als er sich entfernte?
    »Idiot! … Dreckiger kleiner Idiot!«
    Und Marie Tatin, ohne zu wissen warum, fürchtete sich, mit ihm alleinzubleiben.
     
    Der Tag sollte bis zum Schluß unter dem Zeichen der Verwirrung, der Unentschlossenheit stehen, zweifellos, weil niemand sich befugt fühlte, die Zügel zu ergreifen.
    Maigret, in seinen dicken Mantel gehüllt, wanderte ziellos im Dorf herum. Man sah ihn bald auf dem Platz vor der Kirche, bald in der Umgebung des Schlosses, dessen Fenster eines nach dem anderen hell wurden.
    Denn die Nacht kam rasch. Die Kirche war erleuchtet und vibrierte geradezu von Orgelklängen. Der Glöckner schloß das Gittertor des Friedhofs.
    Und Gruppen, im Dunkeln kaum zu erkennen, debattierten. Unsicherheit herrschte, ob es sich gehörte, am Totenbett zu defilieren. Zwei Männer gingen als erste, wurden vom Maître d’hôtel empfangen, der gleichfalls nicht wußte, was er tun sollte. Es war kein Tablett für Visitenkarten vorbereitet. Man suchte Maurice de Saint-Fiacre, um seine Weisungen einzuholen, und die Russin gab Auskunft, daß er spazierengegangen sei.
    Sie lag angezogen auf einem Bett und rauchte Zigaretten mit Pappmundstück.
    Daraufhin ließ der Diener die Leute mit achselzucke n der Gleichgültigkeit ein.
    Das war das erwartete Zeichen. Nach dem Vespergo t tesdienst steckte man die Köpfe zusammen.
    »Doch! Der alte Martin und der junge Bonnet sind schon hingegangen!«
    Das ganze Dorf machte sich auf, in einem langen Zug. Das Schloß war spärlich beleuchtet. Die Bauern gingen den Korridor entlang, und die Silhouetten hoben sich in einem Fenster nach dem anderen ab. Die Kinder führte man an der Hand nach. Man schüttelte sie, um zu verhüten, daß sie Lärm machten. Die Treppe! Der Korridor im ersten Stock. Und endlich das Zimmer, das die Leute zum erstenmal betraten.
    Da war nur das Zimmermädchen der Gräfin, das verstört der Invasion beiwohnte. Die Leute machten das Kreuzeszeichen mit dem in Weihwasser getauchten Buch s baumzweig. Die unerschrockensten murmelten halblaut:
    »Man könnte meinen, sie schläft!«
    Und andere wiederum:
    »Sie hat nicht gelitten …«
    Dann knarrten Schritte über das aus den Fugen geratene Parkett. Die Treppenstufen ächzten. Man hörte:
    »Pst! … Halt dich am Geländer fest …«
    Die Köchin, in ihrer Küche im Untergeschoß, sah nur die Beine der vorbeigehenden Leute.
    Maurice de Saint-Fiacre kehrte gerade dann zurück, als das Haus ganz voll war. Er schaute die

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