Maigret und die Affäre Saint Fiacre
na, dieser Monsieur Jean, wie man ihn hier nennt, den ich an den Apparat bekam.«
»Und er erklärte Ihnen, daß nichts zu machen sei? Sie sind trotzdem hergefahren …«
Der Verwalter beobachtete die zwei Männer. Maurice war vom Schreibtisch aufgestanden.
»Übrigens, nicht um darüber zu reden ließ ich Gautier kommen«, erklärte er nervös. »Ich habe Ihnen die Lage nicht verheimlicht, Kommissar. Morgen wird A n zeige gegen mich erstattet. Es ist unbestreitbar, daß ich, nach dem Tod meiner Mutter, einziger gesetzlicher Erbe bin. So habe ich Gautier gebeten, die vierzigtausend Franc bis morgen früh aufzutreiben … Nur, ansche i nend ist das unmöglich …«
»Völlig unmöglich!« bekräftigte der Verwalter.
»Angeblich ist nichts zu machen, bevor der Notar alle Formalitäten erledigt hat, wozu er die Beteiligten erst nach dem Begräbnis versammeln wird. Und Gautier meint zudem, daß es ohnehin schwierig sein dürfte, auf das, was als Nachlaß noch übrigbleibt, vierzigtausend Franc geliehen zu bekommen …«
Er hatte begonnen, auf und ab zu gehen.
»Sauber, nicht wahr? Perfekt! Es besteht sogar die Chance, daß man mich nicht einmal den Trauerzug a n führen läßt … Doch zur Sache! … Eine Frage noch … Sie sprachen von Verbrechen … Heißt das …?«
»Bisher gibt es keine Anzeige, und vermutlich wird keine erstattet. Also kommt der Fall nicht zur Staatsanwaltschaft …«
»Lassen Sie uns allein, Gautier!«
Dann, sobald der Verwalter gegangen war, widerstrebend: »Ein Verbrechen, wirklich?«
»Ein Verbrechen, mit dem sich die offizielle Polizei nicht befaßt!«
»Wie ist das zu verstehen? … Ich fange an …«
Doch da ertönte in der Eingangshalle eine Frauenstimme, zu der sich die tiefere Stimme des Verwalters gesellte. Maurice runzelte die Brauen, ging zur Türe, die er mit einem brüsken Ruck öffnete.
»Marie? Was ist? …«
»Maurice! Wieso läßt man mich nicht hinein? … Es ist unerhört! Seit einer Stunde warte ich im Hotel …«
Sie redete mit starkem ausländischen Akzent. Es war Marie Vassilew, aus Moulins in einem alten Taxi eing e troffen, das man im Hof stehen sah.
Sie war groß, sehr schön, von möglicherweise künstlicher Blondheit. Als sie merkte, daß Maigret sie m u sterte, begann sie mit großer Eloquenz Englisch zu spr e chen, und Maurice antwortete ihr in der gleichen Spr a che.
Sie erkundigte sich, ob er Geld bekommen habe. Er erwiderte, daß davon keine Rede mehr sein könne, daß seine Mutter gestorben sei, und daß Marie nach Paris zurückkehren müsse, wohin er ihr bald folgen würde.
Darauf entgegnete sie hämisch auflachend: »Mit was denn? Ich kann ja nicht einmal das Taxi bezahlen!«
Maurice de Saint-Fiacre fing an, den Kopf zu verlieren.
Die durchdringende Stimme seiner Mätresse gellte durch das Schloß und gab der Szene einen skandalösen Anstrich.
Der Verwalter war noch immer im Korridor.
»Wenn du hier bleibst, bleibe ich bei dir!« erklärte Marie Vassilew.
Und Maigret wies Gautier an:
»Bezahlen Sie den Fahrer und schicken Sie den Wagen weg!«
Die Verwirrung nahm zu. Keine materielle, behebbare Verwirrung, sondern eine seelische Verwirrung, die ansteckend zu sein schien. Sogar Gautier verlor den Boden unter den Füßen.
»Wir sollten trotzdem unbedingt miteinander reden, Kommissar …«, ließ sich der Graf vernehmen.
»Nicht jetzt!«
Und er deutete auf die aufreizend elegant gekleidete Frau, die in der Bibliothek und im Salon umherging, als sei sie dabei, ein Inventar der Räume aufzunehmen.
»Von wem ist dieses alberne Porträt, Maurice?« rief sie lachend aus.
Schritte auf der Treppe. Maigret sah Jean Métayer herunterkommen, in einem weiten Mantel, in der Hand eine Reisetasche. Jean ahnte wohl, daß man ihn nicht so ohne weiteres weggehen lassen würde, denn er blieb vor der Bibliothekstüre stehen und wartete.
»Wohin wollen Sie?«
»Ins Gasthaus! Es ziemt sich für mich …«
Maurice de Saint-Fiacre geleitete seine Mätresse, um sie los zu werden, in ein Zimmer im rechten Flügel des Schlosses. Die beiden diskutierten nach wie vor auf En g lisch.
»Stimmt es, daß man auf das Schloß keine vierzigtausend Franc mehr aufnehmen könnte?« fragte Maigret den Verwalter.
»Das dürfte schwerlich glücken.«
»Nun, versuchen Sie trotzdem das Unmögliche möglich zu machen, gleich morgen früh.«
Der Kommissar wußte nicht, ob er schon gehen sollte. Im letzten Augenblick entschloß er sich, in den e r sten Stock
Weitere Kostenlose Bücher