Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Löwenköpfen, die Messingringe im Maul hielten. Wiede r um spürte er seine psychische und körperliche Abgespanntheit. Einst hatte er diesen Raum nur in Pantoffeln betreten dürfen, wegen des blitzblanken Parketts.
»Ich bin in einer höchst peinlichen Lage … Und ich möchte Ihren Rat … Wir sind arme Leute … Sie wissen, daß das Amt eines Gutsverwalters seinen Inhaber nicht reich macht … An gewissen Samstagen, wenn kein Geld in der Kasse war, habe ich die Landarbeiter selber bezahlt … In anderen Fällen habe ich das Geld für Viehkäufe vorgeschossen, das die Pächter brauchten …«
»Kurz und gut, die Gräfin schuldete Ihnen Geld!«
»Die Frau Gräfin verstand nichts von geschäftlichen Angelegenheiten … Das Geld wurde nach allen Seiten verpulvert … Nur für die allernötigsten Sachen ließ sich keines finden …«
»Und Sie waren es, der …«
»Ihr Vater hätte dasselbe getan wie ich, nicht wahr? Es gibt Augenblicke, in denen man die Leute hier nicht merken lassen darf, daß die Kasse leer ist … Ich nahm von meinem Ersparten …«
»Wieviel?«
»Noch ein Gläschen? … Ich habe es nicht aufgeschrieben … Mindestens siebzigtausend … Und jetzt noch, für die Bestattung, bin ich es, der …«
Eine Szene drängte sich in Maigrets Gedächtnis: seines Vaters kleines Büro bei den Ställen, samstags um fünf Uhr. Alle im Schloß beschäftigten Leute, von den Wei ß näherinnen bis zu den Tagelöhnern, warteten draußen.
Und der alte Maigret in seinem mit grünem Perkai tapezierten Kontor ordnete Geldstücke zu Häufchen. Jeder kam der Reihe nach herein, kritzelte seine Unterschrift oder ein Kreuz ins Register …
»Ich frage mich, wie ich das jetzt zurückbekomme … Für Leute wie uns ist es …«
»Ja, ich begreife! Sie haben den Kamin umbauen lassen!«
»Wissen Sie, der alte war aus Holz … Marmor macht sich besser …«
»Viel besser!« kurrte Maigret.
»Sie verstehen! Sämtliche Gläubiger werden über das Gut herfallen! Ein Verkauf ist unvermeidlich! Und mit den Hypotheken …«
Der Polstersessel, in dem Maigret saß, war wie der Kamin neu, und er kam bestimmt aus einem Geschäft am Boulevard Barbès. Ein Grammofon stand auf dem Büfett.
»Wenn ich keinen Sohn hätte, wäre es mir egal, aber Emile hat seine Karriere noch vor sich … Ich will natü r lich nichts überstürzen …«
Ein junges Mädchen ging über den Flur.
»Eine Tochter haben Sie auch?«
»Nein! Das ist eine Magd aus der Gegend, die kommt, um die grobe Hausarbeit zu machen.«
»Tja, wir werden darüber nochmals reden müssen, Monsieur Gautier … Entschuldigen Sie mich, ich habe noch viel zu tun …«
»Ein letztes Gläschen?«
»Danke … Rund fünfundsiebzigtausend sagten Sie, nicht wahr?«
Und er machte sich auf, die Hände in den Taschen, lief durch die Gänseschar, dann den Notre-Dame-Teich entlang, der nicht mehr plätscherte. Die Turmuhr der Kirche schlug zwölf.
Bei Marie Tatin saßen Jean Métayer und der Anwalt beim Essen. Sardinen, Heringsfilets und Wurst als Hors d’œuvre. Auf dem Nebentisch standen die leeren Aper i tif-Gläser.
Die beiden Männer waren bester Laune. Sie empfingen Maigret mit ironischen Blicken, zwinkerten sich gegenseitig zu. Die Mappe des Rechtsanwalts war g e schlossen.
»Haben Sie wenigstens Trüffel zum Hühnchen aufgetrieben?« erkundigte sich dieser gerade.
Arme Marie Tatin! Sie hatte zwar in der Lebensmittelhandlung eine ganz kleine Büchse bekommen, brac h te es aber nicht fertig, sie zu öffnen. Sie wagte jedoch nicht, das einzugestehen.
»Ja, ich fand welche, Monsieur!«
»Dann los! Die Landluft macht hungrig!«
Es war Maigret, der in die Küche ging und mit seinem Taschenmesser die Büchse aufmachte, während die schielende Frau leise stammelte:
»Es ist so peinlich! … Ich …«
»Mund halten, Marie!« knurrte er.
Ein Lager … Zwei Lager. Drei Lager?
Er spürte das Bedürfnis, den Tatsachen mit einem Scherz zu entrinnen.
»Übrigens hat mich der Pfarrer gebeten, dir für dreihundert Tage Ablaß zu geben! Das soll deine vielen Sünden ausgleichen.«
Und Marie Tatin, Scherze nicht gewohnt, musterte ihren massigen Kumpan ängstlich und zugleich mit ac h tungsvoller Sympathie.
7
Rendezvous in Moulins
M
aigret hatte nach Moulins telefoniert und ein T a xi bestellt.
Erst war er überrascht, als schon knapp zehn Minuten nach seinem Anruf eines kam, doch kaum ging er zur Tür, setzte der Anwalt seine Kaffeetasse ab und drängte sich
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