Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Angst vor meiner Verge l tung … Ha, Ha! …«
Sein Lachen war schrecklich!
»Sehen Sie mich, ausgerechnet mich, über meine Mutter herfallen, weil sie … Und dieser Pfarrer, der nichts verstanden hat! … Er sieht das Leben so wie es in seinen frommen Büchern ist! … Zu Lebzeiten meiner Mutter muß er versucht haben, sie vor sich selbst zu retten … Nach ihrem Tod hielt er es für seine Pflicht, mich zu retten … Aber zur Stunde, das möchte ich wetten, ist er überzeugt, daß ich es war, der …«
Er schaute dem Kommissar starr in die Augen, stieß hervor:
»Und Sie?«
Dann, weil Maigret keine Antwort gab:
»Denn es geht um ein Verbrechen … Um ein Verbrechen, wie es nur ein Lump schlimmster Sorte begehen kann … Ein dreckiger kleiner Feigling! … Stimmt es, daß die Justiz ihm nichts anhaben kann? … Ich hörte heute früh davon reden … Doch ich will Ihnen etwas sagen, Kommissar, und ich verspreche, auch später dazu zu stehen … Dieser kleine Lump, wenn ich den erwische, dann hat er es mit mir, mir allein, zu tun … Und ich werde keinen Revolver brauchen! Nein, keine Waffe … Nur diese Hände da …«
Der Alkohol mußte zu seiner Gefühlsaufruhr beigetragen haben. Er hatte es gemerkt, denn nun fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, betrachtete sich im Spiegel und schnitt sich selbst eine spöttische Grimasse.
»Immerhin, ohne den Priester wäre ich noch vor der Trauerfeier eingesperrt worden! Ich war nicht sehr nett zu ihm … Die Frau des früheren Notars, die meine Schulden zahlt … Wer ist das? Ich erinnere mich nicht an sie …«
»Die Dame, die sich immer weiß kleidet … Das Haus, das ein Gitter mit goldenen Spitzen hat, an der Strecke nach Matignon …«
Maurice de Saint-Fiacre beruhigte sich. Seine fiebrige Erregung war nur ein Strohfeuer gewesen. Er wollte sich nochmals einschenken, zögerte aber und goß dann mit angeekeltem Ausdruck den Inhalt seines Glases in einem Zug hinunter.
»Hören Sie?«
»Was?«
»Nun defilieren sie wieder da oben, die Leute aus der Gegend! Ich sollte dort sein, in tiefster Trauer, mit geröteten Augen und mit trübseliger Miene Hände drücken! Kaum sind sie draußen, werden sie anfangen zu reden …«
Und argwöhnisch:
»Doch warum bleiben übrigens Sie eigentlich hier, wenn, wie Sie sagen, die Justiz diese Affäre nicht aufgre i fen wird?«
»Es könnte ja etwas Neues geben.«
»Würden Sie, wenn ich den Schuldigen entdecke, mich hindern …?«
Seine sich verkrampfenden Finger waren vielsagender als eine ganze Rede.
»Ich verlasse Sie jetzt«, brach Maigret ab. »Ich muß ein Auge auf dem zweiten Lager behalten …«
»Dem zweiten Lager?«
»Das im Gasthaus! Jean Métayer und sein Anwalt, der heute früh angekommen ist …«
»Er hat sich einen Anwalt genommen?«
»Er ist ein vorausschauender Bursche … Heute vormittag waren die Figuren so verteilt: im Schloß Sie und der Pfarrer; im Gasthaus der junge Mann und sein Ber a ter …«
»Glauben Sie, daß er imstande war? …«
»Sie erlauben, daß ich mich bediene?«
Und Maigret trank ein Glas Schnaps, wischte sich die Lippen, stopfte vor dem Weggehen eine letzte Pfeife.
»Sie können doch wohl nicht mit einer Linotype-Setzmaschine umgehen, oder?«
Ein Achselzucken.
»Ich kann mit überhaupt nichts umgehen … Das ist es ja! …«
»Keinesfalls verlassen Sie das Dorf, ohne es mich wi s sen zu lassen, nicht wahr?«
Ein ernster, tiefsinniger Blick. Eine ernste, tiefsinnige Stimme:
»Das verspreche ich Ihnen!«
Maigret ging. Er wollte eben die Freitreppe hinabsteigen, als aus dem Nichts plötzlich neben ihm ein Mann au f tauchte.
»Entschuldigen Sie, Herr Kommissar … Hätten Sie einen Augenblick Zeit zu einem kleinen Gespräch … Ich höre, daß …«
»Was?«
»Daß Sie gewissermaßen zum Gut gehören … Ihr Vater war vom Fach … Würden Sie mir die Ehre erweisen und ein Glas bei mir trinken? …«
Und der Verwalter mit dem grauen Bärtchen nötigte seinen Begleiter durch die verschiedenen Höfe. Alles stand schon bereit. Eine Flasche Branntwein, deren Etikette das ehrwürdige Alter belegte. Teegebäck. Aus der Küche kam der Geruch von Grünkohl mit Speck.
»Wie ich höre, haben Sie das Schloß noch in ganz anderem Zustand erlebt … Ich selber kam hierher, als der Wirrwarr anfing … Da war ein junger Mann aus Paris, der … Dieser Branntwein stammt noch vom alten Gr a fen … Kein Zucker, vermute ich?«
Maigret fixierte den Tisch mit den geschnitzten
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