Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Ende, denn er hatte den Eindruck, daß da, ganz ohne ihn, eine Komödie vor sich ging.
Eine Komödie, ganz recht! Weshalb lächelte der Arzt hinter seinem Bärtchen? Und warum schob der Priester sachte Saint-Fiacres Kopf gerade?
Eine Komödie, die übrigens in einem Gemisch von Posse und Drama ihren Fortgang nehmen sollte:
Der Graf de Saint-Fiacre nämlich richtete sich auf wie ein Mann, der eben aus dem Schlaf erwacht. Sein Blick war hart, sein Mund ironisch und grimmig gekrümmt.
»Komm her, sag das nochmal!« forderte er.
Und der Schrei, der daraufhin ertönte, war bestürzend. Emile Gautier machte seiner Angst Luft, kla m merte sich an Maigrets Arm, als flehe er ihn um Schutz an. Aber der Kommissar trat zurück, überließ das Feld den beiden Männern.
Einen gab es, der verständnislos blieb: Jean Métayer.
Er war beinahe so verängstigt wie der Bankangestellte. Zu allem Überfluß kippte noch eine der Kerzen um, und das Tischtuch fing zu glimmen an; brenzeliger G e ruch breitete sich aus.
Es war der Anwalt, der einem Brandausbruch vorbeugte, indem er eine Flasche Wein darübergoß.
»Komm her!«
Es war ein Befehl! Und er wurde in einem Ton erteilt, der deutlich machte, daß es keine Aussicht gab, sich ihm zu widersetzen.
Maigret hatte den Revolver ergriffen. Ein Blick genügte ihm zur Feststellung, daß er blind geladen war.
Das übrige ließ sich erraten: Maurice de Saint-Fiacre, der seinen Kopf auf den Arm des Priesters sinken ließ … Ein paar geflüsterte Worte, damit für kurze Zeit der A n schein gewahrt wurde, er sei tot …
Jetzt war er nicht mehr derselbe Mann wie vorher. Er wirkte größer, kraftvoller. Er wandte keinen Blick von dem jungen Gautier, und es war der Verwalter, der plöt z lich zu einem Fenster rannte, es aufriß und seinem Sohn zurief:
»Hierher, los!«
Es war nicht schlecht überlegt. Bei der herrschenden allgemeinen Aufregung und Verwirrung hätte Gautier in diesem Augenblick entwischen können.
Handelte der rundliche Anwalt mit Absicht? Zweifellos nicht! Oder dann verlieh ihm seine Trunkenheit eine Art heroischen Mutes. Jedenfalls streckte er, als der Flüchte n de zum Fenster eilte, sein Bein aus, und Gautier purzelte der Länge nach darüber hin.
Er stand nicht von selbst auf. Eine Hand hatte ihn am Kragen gepackt, hob ihn hoch, stellte ihn auf die Füße, und er schrie abermals gellend auf, als er merkte, daß Saint-Fiacre es war, der ihn zum Stehen zwang.
»Rühr dich nicht! … Jemand soll das Fenster schließen …«
Und er ließ seine Faust ein erstes Mal im Gesicht seines Gegenübers landen, das rot anlief. Er tat es kaltbl ü tig.
»Jetzt, rede! Erzähl! …«
Niemand mischte sich ein. Es überlegte auch niemand, ob er es tun sollte, so eindeutig war das Gefühl, daß nur ein einziger Mann das Recht hatte, die Stimme zu erheben.
Bloß Vater Gautier murrte an Maigrets Ohr:
»Und Sie lassen das zu? …«
O ja! Maurice de Saint-Fiacre war Herr der Lage und ganz seiner Aufgabe gewachsen.
»In jener Nacht hast du mich gesehen, das stimmt!«
Dann, an die übrigen gewandt:
»Wissen Sie, wo? … Auf der Freitreppe … Ich war dabei, hineinzugehen … Er kam heraus … Ich wollte mir ein paar Stücke vom Familienschmuck holen, um sie zu verkaufen … Plötzlich standen wir uns in der Dunkelheit gegenüber … Er fror … Und dieser Lump eröffnete mir, daß er … Sie erraten es? … Daß er aus dem Zimmer meiner Mutter kommt, jawohl! …«
Und leiser, gleichgültig:
»Ich habe auf meine Absicht verzichtet, bin nach Moulins zurückgefahren.«
Jean Métayer machte große Augen. Der Anwalt strich sich übers Kinn, um Haltung zu bewahren, und schielte nach seinem Glas, das er sich nicht zu holen traute.
»Als Beweis reichte das aber nicht aus … Denn sie w a ren ja zu zweit im Haus, und Gautier mochte die Wah r heit gesagt haben … Wie ich vorhin erklärte, hat er als erster die Ratlosigkeit einer alten Frau ausgenützt … Métayer kam erst später. Und konnte nicht Métayer, als er seine Stellung gefährdet sah, daran gedacht haben, sich zu rächen? … Das versuchte ich herauszufinden … Beide waren auf der Hut, der eine wie der andere … Als ve r suchten sie, es mit mir drauf ankommen zu lassen … Nicht wahr, Gautier? … Der noble Aussteller ungedeckter Schecks, der nachts beim Schloß herumlungert und der es kaum riskieren darf anzuklagen, aus Furcht, selbst verha f tet zu werden …«
Und mit veränderter Stimme:
»Sie müssen entschuldigen,
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