Maigret und die alte Dame
sie ihre Abende bei Ihnen?«
»Ich habe sie nie im Salon sitzen sehen, was mir übrigens auch nicht gepasst hätte. Finden Sie mich altmodisch? Nach dem Abspülen ging sie immer sofort auf ihr Zimmer, legte sich angezogen auf das Bett und rauchte Zigaretten. Sie hat sich bestimmt nichts aus dem Rauchen gemacht. Sie konnte auch nicht rauchen. Sie musste dabei dauernd die Augen schließen, aber das gehörte zu ihrer Vorstellung von Poesie. Bin ich sehr hart? Nicht so sehr, wie Sie meinen. Wenn ich hinaufging, kam sie mit hochrotem Gesicht und glänzenden Augen an und wartete, bis ich mich schlafen gelegt hatte, damit sie mir meine Medizin geben konnte.
>Vergessen Sie nicht, Ihr Zimmer vor dem Schlafen zu lüften!< sagte ich regelmäßig zu ihr, weil der Zigarettenrauch durch alle Türen drang. Sie antwortete:
>Nein, Madame. Gute Nacht, Madame.<
Wenn sie sich dann auszog, machte sie so viel Krach wie eine ganze Kompanie.«
Madame Leroy machte auch Krach in der Küche, aber es bereitete ihr offenbar Vergnügen, ihre Selbständigkeit zu demonstrieren. Sie öffnete mürrisch die Tür, schaute Maigret ausdruckslos an, schien ihn aber nicht zu sehen.
»Soll ich die Suppe aufsetzen?«
»Vergessen Sie nicht die Markknochen.«
Und sie wandte sich wieder Maigret zu:
»Außer Julien, meinem Schwiegersohn, haben Sie nun eigentlich die ganze Familie kennengelemt. Sie zeichnet sich nicht gerade durch besondere Vorzüge aus, aber sie ist auch nicht von der schlechtesten Sorte, nicht wahr?«
Er versuchte gerade vergeblich, sich an das zu erinnern, was Arlette über ihre Mutter gesagt hatte.
»Ich glaube bald auch noch daran wie der gute Charles, dass es nur ein unerklärlicher Unglücksfall war. Sie sehen, ich bin immer noch am Leben, und wenn jemand in einem bestimmten Augenblick beschlossen hatte, mich umzubringen - Gott weiß warum -, sieht es so aus, als ob ihn der Mut verlassen hätte. Was denken Sie?«
Er dachte überhaupt nichts. Er sah sie an mit einem etwas verschwommenen Blick und geblendet von der Sonne, die zwischen ihnen spielte. Ein undeutliches Lächeln lag auf ihren Lippen - Madame Maigret hätte gesagt, ein glückliches Lächeln -, während er sich fragte, nicht im Ernst, nur so zum Spaß, ob es gelingen würde, eine Frau wie diese aus der Fassung zu bringen.
Er nahm sich Zeit und ließ sie weiterreden, trank ab und zu einen Schluck Calvados; der fruchtige Alkoholduft gehörte allmählich zur Atmosphäre des Hauses dazu, außer dem Geruch nach guter Küche und einem Hauch Bohnerwachs und Sauberkeit. Die Mädchen konnten es ihr beim Putzen sicher nicht recht machen, und er stellte sich vor, wie sie am Morgen, ein Häubchen auf dem Kopf, den Staub auf all den zerbrechlichen Nippsachen selbst wischte.
»Finden Sie mich originell? Oder halten Sie mich allmählich wie manche hier für eine verrückte Alte? Sie kommen auch noch dahin! Wenn man alt wird, kümmert man sich nicht mehr um die Meinung der Leute und tut, was man will.«
»Haben Sie Theo noch einmal getroffen?«
»Nein. Warum?«
»Wissen Sie, in welchem Hotel er abgestiegen ist?«
»Ich glaube, ich hörte, wie er am Sonntag sagte, dass er sein Zimmer im >Hôtel des Anglais< hat.«
»Nein. Im >Hôtel de la Plage<.«
»Warum, glauben Sie, sollte er mich aufgesucht haben?«
»Ich weiß nicht. Er kannte Rose.«
»Theo?«
»Er ist ein paarmal mit ihr ausgegangen.«
»Das kann nicht oft gewesen sein, denn sie ging kaum aus.«
»Haben Sie es ihr nicht erlaubt?«
»Ich erlaubte ihr natürlich nicht, sich abends auf den Straßen herumzutreiben.«
»Sie tat es trotzdem. Wie oft hatte sie Ausgang?«
»Zwei Sonntage im Monat. Sie ging nach dem Mittagessen, wenn sie mit dem Abspülen fertig war; wenn sie zu ihren Eltern fuhr, kam sie erst Montag früh mit dem ersten Bus zurück.«
»Sie waren dann allein zu Hause?«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich keine Angst habe. Wollen Sie vielleicht behaupten, dass zwischen Theo und Rose irgendetwas war?«
»Er sagte mir, sie war schon zufrieden, wenn sie mit ihm über ihre Probleme sprechen konnte.«
Und er fügte etwas boshaft hinzu:
»Indem sie seine Hand hielt oder den Kopf an seine Schulter lehnte.«
Sie lachte, lachte so aus vollem Herzen, dass sie beinahe keine Luft mehr bekam.
»Sagen Sie ganz schnell, dass das nicht wahr ist.«
»Es ist absolut richtig. Deswegen war Charles heute nicht sehr stolz auf seinen Bruder.«
»Hat Theo in seiner Gegenwart mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Es
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