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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Ich mache mir um sie keine Sorgen!«
    »Und die Rose?«
    Maigret dachte an die Patienten, die warten mussten, an die Frau mit dem Baby auf dem Arm, an den Jungen mit dem dicken Verband um den Kopf. Aber der Doktor hatte es offenbar nicht eilig, zündete sich eine Zigarre an und machte es sich in einem Sessel bequem, als ob die Unterhaltung länger dauern würde.
    »Es gibt in Frankreich Tausende von Mädchen wie Rose. Sie wissen, woher sie stammt. Sie ging alles in allem vielleicht drei Jahre in die Dorfschule und kam plötzlich in eine ganz andere Umgebung. Man redete zu sehr auf sie ein. Sie hat zu viel gelesen. Wissen sie, was sie mich bei einem ihrer Besuche gefragt hat? Was ich von den Theorien Freuds hielte! Sie wollte auch wissen, ob ihr Hormonsystem in Ordnung war, was weiß ich noch alles! Ich tat so, als ob ich sie ernst nehmen würde. Ich ließ sie reden. Ich verordnete ihr Medikamente, die nicht mehr halfen als Wasser.«
    »Hatte sie Kummer?«
    »Überhaupt nicht. Im Gegenteil, wenn sie sich gehenließ, war sie sehr fröhlich. Dann fing sie an zu denken, wie sie sagte, und dann nahm sie sich sehr ernst. Bei Valentine hat sie Dostojewski aufgestöbert und las ihn von Anfang bis Ende.«
    »Keines der Medikamente, die Sie ihr verschrieben, enthielt Arsen?«
    »Kein einziges, das kann ich Ihnen versichern!«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Sie wollen schon gehen? Ich wollte noch eine Weile mit Ihnen hier reden.«
    »Ich komm sicher noch einmal.«
    »Wenn Sie mir das versprechen...«
    Er stöhnte und war ärgerlich, dass er schon wieder zu seinen Patienten musste.
    Castaing wartete draußen.
    »Was machen Sie jetzt?«
    »Ich fahre nach Yport.«
    »Soll ich Sie mit dem Simca hinfahren?«
    »Nein. Ich überlege mir, ob es nicht besser wäre, du würdest deine Frau anrufen und ihr sagen, dass du heute eventuell später oder auch überhaupt nicht nach Hause kommst.«
    »Sie kennt das schon. Wie wollen Sie hinkommen? Um diese Zeit fährt kein Bus. Sie können die Strecke auch nicht laufen.«
    »Ich nehme ein Taxi.«
    »Wenn eins von den beiden frei ist. Es gibt nämlich nur zwei in Etretat. Kommen Sie! Das Büro ist gleich hier an der Ecke. Was soll ich solange machen?«
    »Du wirst Theo Besson suchen.«
    »Das wird nicht schwer sein. Ich brauche nur alle Bars abzuklappern. Und dann?«
    »Nichts weiter. Behalte ihn im Auge.«
    »Unauffällig?«
    »Es macht nichts, wenn er dich sieht. Wichtig ist, dass du ihm auf den Fersen bleibst. Wenn er die Stadt mit dem Auto verlässt, fahr ihm hinterher. Park dein Auto in der Nähe seines Autos, es steht sicher in der Garage. Versuch mir eine Nachricht zu hinterlassen oder ins Hotel zu schicken. Ich glaube nicht, dass er weit fährt.«
    »Wenn Sie die Trochus besuchen, wünsche ich Ihnen viel Spaß.«
    Die Sonne ging allmählich unter, als Maigret die Stadt in einem Taxi verließ. Der Fahrer drehte sich dauernd um und wollte sich mit ihm unterhalten. Der Kommissar schien immer noch zu dösen, zog manchmal an seiner Pfeife, besah sich die Landschaft, deren Grün dunkel und stumpf wurde, Lichter gingen in den Bauernhöfen an, und Kühe muhten am Zaun.
    Yport war nur ein Fischerdorf mit ein paar Häusern, in denen wie überall an der Küste Zimmer an Sommerurlauber vermietet wurden.
    Der Fahrer musste fragen, denn er kannte die Trochus nicht. Schließlich hielt er vor einem einstöckigen Haus, um das herum Fischernetze zum Trocknen aufgehängt waren.
    »Soll ich auf Sie warten?«
    »Bitte.«
    Ein nur undeutlich zu erkennendes Gesicht zeigte sich am Fenster, und als Maigret an die braungestrichene Haustür klopfte, hörte er drinnen das Klappern von Gabeln und Löffeln, dem er entnahm, dass die Familie beim Essen saß.
    Es war Henri, der ihm die Tür öffnete; er hatte noch den Mund voll und sah ihn schweigend an, ohne ihn hereinzubitten. Hinter ihm brannte das Herdfeuer und verbreitete schwaches Licht im Raum; darüber hing ein großer Kessel. Daneben stand ein schöner, noch beinahe ganz neuer Ofen, der aber, wie unschwer zu erraten war, eher Dekorationszwecke erfüllte und nur zu besonderen Anlässen benutzt wurde.
    »Kann ich Ihren Vater sprechen?«
    Dieser hatte ihn zwar gesehen, aber bisher nichts gesagt. Fünf oder sechs Personen saßen vor dampfenden Tellern an einem langen blanken Tisch, auf dem in der Mitte eine riesige Schüssel mit Kartoffeln und Kabeljau mit Sahnesoße stand. Die Mutter saß mit dem Rücken zur Tür. Ein kleiner blonder Junge verrenkte sich den Hals, um den

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