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Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Luft. Man glaubte plötzlich, ohne genau sagen zu können warum, meilenfern von Paris zu sein, fern von der feuchten Luft draußen, von den Leuten, die durch die Straßen gehen, von den hupenden Taxen und den Autobussen, deren Bremsen bei jedem Halten laut aufkreischen. Es war derart heiß in dem Zimmer, daß Maigret sofort seinen Mantel auszog. »Wo liegt sie?«
    »In ihrem Schlafzimmer.«
    Das Zimmer war eine Art Salon, jedenfalls das, was man einmal unter einem Salon verstanden hatte. Dennoch war alles hier so unwirklich, daß man nicht wußte, wie man dieses Zimmer hätte beschreiben sollen. Eine Wohnung, in der alles für eine Auktion vorbereitet ist und alle Möbel dort stehen, wo sie eigentlich nicht hingehören, mag solchen Anblick bieten.
    Überall standen Flaschen herum, und Maigret sah sofort, daß es nur Rotweinflaschen waren, Literflaschen mit gewöhnlichem Rotwein, wie ihn die Straßenarbeiter an ihren Arbeitsplätzen gleich aus der Flasche trinken und wozu sie dann eine Wurst verzehren. Auch Wurststücke lagen herum, nicht auf einem Teller, sondern auf fettigem Papier, ebenso Reste eines Huhns, dessen Knochen auf dem Teppich verstreut waren.
    Der Teppich war sehr abgenutzt und unglaublich schmutzig, wie überhaupt alles in diesem Raum. Einem Stuhl fehlte ein Bein, aus einem Sessel quoll die Roßhaarfüllung heraus, und der pergamentene Lampenschirm, der durch die lange Benutzung schon ganz bräunlich geworden, war völlig krumm und schief.
    In dem Schlafzimmer nebenan lag auf einem nicht bezogenen Bett, das schon seit mehreren Tagen nicht gemacht zu sein schien, eine Leiche, die bis zur Hälfte nackt war: genau bis zur Hälfte, denn der Oberkörper war mit einer Nachtjacke bekleidet, während von der Taille bis zu den Füßen das nackte, aufgeblähte, häßlich weiße Fleisch zu sehen war.
    Schon auf den ersten Blick bemerkte Maigret kleine blaue Flecken an den Schenkeln und wußte, daß er irgendwo im Zimmer auch eine Spritze finden würde. Tatsächlich lagen zwei auf einem Schemel, der wohl als Nachttisch diente, und eine davon mit abgebrochener Nadel.
    Die Tote schien mindestens sechzig Jahre alt zu sein, wenn sich das Alter auch nicht genau feststellen ließ. Niemand hatte sie bisher angerührt. Der Arzt war noch nicht da, aber es bestand kein Zweifel, daß man sie schon vor einiger Zeit erwürgt hatte. Die Matratze, auf der sie ausgestreckt lag, war an einer Stelle aufgeschnitten und die Füllung dort herausgerissen.
    Auch hier standen Flaschen, Speisenreste und außerdem mitten im Zimmer ein Nachttopf voller Urin.
    »Hat sie allein gelebt?« fragte Maigret die Concierge, die mit verkniffenen Lippen hinter ihm stand.
    Sie nickte.
    »Hat sie viel Besuch gehabt?«
    »Wenn sie viel Besuch gehabt hätte, wäre der Saustall wohl mal ausgekehrt worden.«
    Und um gleich jedem Vorwurf, den man ihr deswegen machen konnte, zu begegnen, setzte sie hinzu:
    »Es ist das erstemal seit mindestens drei Jahren, daß ich einen Fuß in diese Wohnung setze.«
    »Hat sie Sie nie hereingelassen?«
    »Ich hatte kein Verlangen danach.«
    »Hatte sie kein Mädchen, keine Putzfrau?«
    »Niemanden. Nur eine Freundin, genauso eine verdrehte Schraube wie sie, die hin und wieder zu ihr kam.«
    »Kennen Sie sie?«
    »Ich weiß ihren Namen nicht, aber ich sehe sie manchmal hier in der Gegend. Sie ist noch nicht ganz so verkommen. Wenigstens das letztemal, als ich sie sah, war sie’s noch nicht. Aber das ist auch schon eine Weile her.«
    »Wußten Sie, daß Ihre Mieterin Morphinistin war?«
    »Ich wußte bloß, daß sie halb verrückt war.«
    »Waren Sie hier schon Concierge, als sie die Wohnung gemietet hat?«
    »Dann hätte sie sie bestimmt nicht bekommen! Wir sind erst seit drei Jahren im Hause, mein Mann und ich, und die wohnt schon seit gut acht Jahren hier. Ich habe alles versucht, sie aus dem Haus zu bringen.«
    »Ist sie wirklich eine Gräfin?«
    »Es scheint so. Jedenfalls ist sie die Frau eines Grafen gewesen, aber vorher soll nicht viel mit ihr los gewesen sein.«
    »Hatte sie Geld?«
    »Das ist wohl anzunehmen, da sie ja schließlich nicht verhungert ist.«
    »Haben Sie jemand zu ihr hinaufgehen sehen?«
    »Wann?«
    »In der vergangenen Nacht oder heute morgen.«
    »Nein, ihre Freundin ist nicht gekommen und der junge Mann auch nicht.«
    »Was für ein junger Mann?«
    »Ein kleiner, höflicher junger Mann, der sie öfter besucht hat und sie Tante nannte. Er sieht etwas krank aus.«
    »Wissen Sie seinen Namen auch

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