Maigret und die Tänzerin Arlette
erstickenden und deprimierenden Atmosphäre herauszukommen.
Er gab Janvier Anweisungen und ließ sich zum Quai des Orfevres fahren, wo ihn schon die Mitteilung erwartete, daß Dr. Paul, der Gerichtsarzt, um seinen Anruf bäte.
»Ich bin gerade dabei, meinen Bericht aufzusetzen, Sie werden ihn morgen früh bekommen«, sagte der Arzt mit dem schönen Bart, ohne zu ahnen, daß er heute abend noch eine weitere Autopsie vorzunehmen hatte. »Ich wollte Ihnen nur noch zweierlei sagen, was vielleicht für Ihre Ermittlungen von Bedeutung ist. Erstens einmal ist das Mädchen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vierundzwanzig Jahre alt gewesen, wie auf ihrem Ausweis angegeben. Medizinisch gesprochen, war sie kaum zwanzig.«
»Sind Sie dessen sicher?«
»So gut wie sicher. Zweitens hat sie ein Kind gehabt.
Das ist alles, was ich weiß. Der Mord ist außerdem von einem kräftigen Menschen begangen worden.«
»Könnte der Täter auch eine Frau gewesen sein?«
»Das glaube ich nicht. Es sei denn, sie hätte die Kräfte eines Mannes.«
»Hat man Ihnen noch nichts von dem zweiten Mord gesagt? Sie werden sicherlich in die Rue Victor-Masse gerufen werden.« Dr. Paul murmelte etwas von einem Abendessen in der Stadt in seinen Bart, und dann hängten sie beide wieder ein.
Die Nachmittagszeitungen hatten Arlettes Bild veröffentlicht, und wie gewöhnlich war daraufhin schon mehrmals bei der Kriminalpolizei angerufen worden. Zwei oder drei Personen warteten im Vorzimmer. Ein Inspektor befaßte sich mit ihnen, und Maigret fuhr zum Essen nach Hause, wo seine Frau, die von dem Mord bereits in der Zeitung gelesen hatte, ihn noch gar nicht erwartete.
Es regnete noch immer. Er war völlig durchnäßt und zog sich deshalb um.
»Gehst du noch mal fort?«
»Ich werde wohl einen Teil der Nacht unterwegs sein.«
»Hat man die Gräfin ausfindig gemacht?«
In den Zeitungen hatte nämlich noch nichts von dem Mord in der Rue Victor-Masse gestanden.
»Ja. Aber sie ist ebenfalls erdrosselt worden.«
»Erkälte dich nur nicht. Im Radio hieß es, daß es frieren wird, und morgen früh soll Glatteis sein.«
Er trank einen Schnaps und ging dann, um frische Luft zu schnappen, zu Fuß zur Place de la République.
Ursprünglich hatte er zwar den jungen Lapointe mit den Nachforschungen über Arlette betraut, dann aber doch Janvier damit beauftragt. Er fürchtete, es würde Lapointes Kräfte übersteigen.
Janvier war gewiß schon mitten in der Arbeit. Mit einem Foto der Tänzerin bewaffnet, ging er auf dem Montmartre von Hotel zu Hotel, vor allem in jene kleinen Hotels, die vornehmlich Zimmer stundenweise vermieten.
Fred vom Picratt hatte ihm gesagt, daß Arlette ebenso wie die anderen Mädchen nach Lokalschluß bisweilen mit einem Gast mitging. Sie hatte sie aber nie in ihre Wohnung mitgenommen, wie es die Concierge in der Rue Notre-Dame-de-Lorette bestätigt hatte. Sie schien immer irgendwo in die Nähe gegangen zu sein. Falls sie einen ständigen Liebhaber hatte, dann traf sie sich mit ihm wahrscheinlich in einem Hotel.
Bei der Gelegenheit sollte Janvier zugleich auch die Leute nach einem gewissen Oskar befragen, von dem man noch nichts wußte und dessen Vornamen das junge Mädchen nur einmal ausgesprochen hatte. Warum schien sie es dann bedauert zu haben, und warum war sie später überhaupt so viel einsilbiger gewesen?
Da es ihm an Beamten fehlte, hatte Maigret Inspektor Lognon in der Rue Victor-Masse gelassen, wo der Erkennungsdienst jetzt schon mit seiner Arbeit fertig sein mußte.
Als Maigret am Quai des Orfevres anlangte, war es in den meisten Büros bereits dunkel, und er fand Lapointe in dem großen Zimmer der Inspektoren über die in der Schublade der Gräfin gefundenen Papiere gebeugt. Er hatte den Auftrag bekommen, sie durchzusehen. »Hast du was gefunden, mein Junge?«
»Ich bin noch nicht fertig damit. Es ist alles vollkommen durcheinander, und man findet sich nicht leicht darin zurecht. Außerdem prüfe ich jedes einzelne ganz genau. Ich habe schon mehrere Ferngespräche angemeldet. Unter anderem warte ich auf eine Verbindung mit der Polizei in Nizza.«
Er zeigte Maigret eine Postkarte, auf der eine große luxuriöse Besitzung zu sehen war, die hoch über der Engelsbucht aufragte. Rings um das Haus, das in schlechtem orientalischen Stil gebaut war und bei dem selbst ein Minarett nicht fehlte, standen Palmen, und unten auf der Karte war der Name aufgedruckt: »Die Oase«.
»Aus den Papieren geht hervor«, erklärte Lapointe,
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