Maigret und die Tänzerin Arlette
schriftlich geben. Gehen Sie ins Picratt?«
Maigret ging ins Picratt, ohne auf den Zwerg zu warten, obwohl der auch dort bald seinen Posten beziehen mußte. Das rote Reklameschild war noch nicht erleuchtet. Man hatte auch Arlettes Fotos noch nicht aus dem Schaukasten genommen. Das Fenster und die Scheiben an der Tür waren durch Vorhänge verhüllt. Es war keine Musik zu hören.
Er trat ein und sah zuerst Fred, der jetzt im Smoking war und hinter der Bar Flaschen aufstellte.
»Habe ich mir doch gedacht, daß Sie kommen würden«, begrüßte er ihn. »Ist es wahr, daß man eine Gräfin erdrosselt aufgefunden hat?«
Es war nicht verwunderlich, daß er das schon wußte, weil der Mord ebenfalls in diesem Viertel geschehen war. Es konnte außerdem sein, daß der Rundfunk die Nachricht schon durchgegeben hatte.
Zwei Musiker, der eine blutjung mit pomadig glänzendem Haar, der andere ein Vierziger, der traurig und krank aussah, saßen auf dem Podium und stimmten ihre Instrumente. Ein Kellner war eben mit dem Decken der Tische fertig. Von Rosa war nichts zu sehen. Sie schien noch in der Küche zu sein oder war noch gar nicht heruntergekommen.
Die roten Wände und die ebenfalls rote Beleuchtung ließen Menschen und Dinge merkwürdig unwirklich erscheinen. Man hatte den Eindruck – wenigstens Maigret hatte ihn –, sich in einer Dunkelkammer zu befinden. Man mußte sich erst einen Augenblick an die schummerige Atmosphäre gewöhnen. Die Augen wirkten in diesem Dämmerlicht dunkler und glänzender, während die Lippen blaß und farblos aussahen.
»Wenn Sie bleiben möchten, geben Sie Ihren Mantel und Hut meiner Frau. Sie ist hinten.«
Er rief: »Rosa!«
Im schwarzen Seidenkleid mit einer kleinen Spitzenschürze darüber, kam sie aus der Küche und nahm Maigret Hut und Mantel ab.
»Sie möchten wohl nicht gleich Platz nehmen?«
»Sind die Mädchen schon da?«
»Sie kommen gleich herunter. Sie ziehen sich noch um.
Wir haben hier nämlich keine Künstlergarderoben, und sie benutzen darum unser Schlafzimmer und unseren Waschraum. Wissen Sie, ich habe viel über die Fragen nachgedacht, die Sie mir heute früh gestellt haben. Und habe mich auch mit Rosa darüber unterhalten. Wir sind beide davon überzeugt, daß Arlette das nicht durch ein belauschtes Gespräch erfahren hat. Komm mal eben her, Désiré.«
Der Kellner hatte fast eine Glatze, nur noch ein dünner Haarkranz lag ihm um den Kopf, und er trug außerdem Koteletten.
»Du kannst zu dem Kommissar offen sprechen. Hast du in der letzten Nacht Gäste am Tisch 4 bedient?«
»Nein, Monsieur Fred.«
»Hast du zwei Männer zusammen gesehen, die eine Weile geblieben sind und von denen der eine, kleinere, schon älter war?« Und dem Kommissar zuzwinkernd, setzte er hinzu: »Einen, der so ungefähr meine Figur hat?«
»Nein, Monsieur Fred.«
»Mit wem hat Arlette gesprochen?«
»Sie war ziemlich lange bei ihrem jungen Mann. Dann hat sie an dem Tisch der Amerikaner ein paar Gläser getrunken, und zum Schluß hat sie sich mit Betty an einen Tisch gesetzt und auf ihre Rechnung für sie beide Kognak bei mir bestellt. Sie können es auf meinen Bons nachprüfen. Sie hat zwei Gläser getrunken.«
Aus der Küche kam jetzt eine braunhaarige Frau, die einen flüchtigen Blick in den leeren Raum warf, in dem Maigret noch der einzige Fremde war, und dann zu dem Podium ging, sich ans Klavier setzte und leise mit den beiden Musikern sprach. Alle drei blickten darauf zu dem Kommissar hin. Dann gab sie den beiden Männern das Tempo an; der jüngere spielte ein paar Takte auf seinem Saxophon, der andere setzte sich ans Schlagzeug, und kurz darauf erklang eine Jazzmelodie. »Die Vorübergehenden müssen Musik hören«, erklärte Fred. »Wahrscheinlich wird zwar erst in einer halben Stunde der erste Gast kommen, aber es darf um Himmels willen keiner hier Kirchhofsstille oder starre Gesichter wie in einem Panoptikum vorfinden.
Was darf ich Ihnen geben? Wenn Sie Platz nehmen, dann trinken Sie wohl am besten eine Flasche Champagner.«
»Ich möchte lieber einen Kognak haben.«
»Ich gieße Ihnen Kognak in ein Sektglas und stelle den Champagner daneben. Bei uns wird nämlich, vor allem zu Beginn der Nacht, grundsätzlich nur Champagner serviert, verstehen Sie?«
Er war in seinem Beruf ganz in seinem Element, als wäre es die Verwirklichung seines Lebenstraums. Seine Augen waren überall. Rosa hatte sich inzwischen schon hinten im Saal, hinter den Musikern, auf einen Stuhl gesetzt, und
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