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Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Flecken saßen an solchen Stellen, daß ich gleich wußte, was das zu bedeuten hatte. Nur alte Lüstlinge haben dieses Laster.«
    »Wann haben Sie das zum erstenmal bemerkt?«
    »Vor gut sechs Monaten, ganz kurz nachdem ich hier zum erstenmal aufgetreten war.«
    »Und war das immer so?«
    »Ich habe nicht jeden Abend darauf geachtet, aber oft genug habe ich die blauen Flecke gesehen. Haben Sie mir noch etwas zu sagen? Ich muß wieder ans Klavier zurück.«
    Sie hatte sich kaum dort wieder niedergelassen, als das Licht ausging und ein Scheinwerfer die Tanzfläche erleuchtete, auf der jetzt Betty Bruce ihre Nummer vorführte.
    Maigret hörte hinter sich Stimmen von Männern, offensichtlich Ausländer, die versuchten, auf Französisch nachzusprechen, was eine Frau ihnen vorsprach: »Wollen Sie mit mir schlafen?« Sie lachten und probierten es alle nacheinander:
    »Wollen Sie…«
    Ohne ein Wort zu sagen, setzte sich Fred, dessen Hemdbrust wie ein weißer Fleck im Dunkel leuchtete, dem Kommissar gegenüber. Mehr oder weniger im Takt hob Betty ein Bein kerzengerade hoch, hüpfte dann auf dem anderen, wobei sich das Trikot spannte, lächelte krampfhaft und ging schließlich, beide Beine spreizend, in den Spagat.

 
    FÜNFTES KAPITEL
     
     
     
    Als seine Frau ihn weckte und ihm eine Tasse Kaffee ans Bett brachte, merkte Maigret gleich, daß er nicht genug geschlafen hatte. Und Kopfschmerzen hatte er. Dann schlug er die Augen auf und wunderte sich, warum Madame Maigret ihn so heiter anblickte, wie jemand, der einen mit einer frohen Kunde überraschen will. »Sieh mal!« sagte sie, nachdem er die Tasse mit noch etwas zitterigen Händen ergriffen hatte. Sie zog den Vorhang auf, und er sah, daß es schneite.
    »Freust du dich nicht darüber?«
    Gewiß, er freute sich. Aber an dem pappigen Geschmack in seinem Munde spürte er, daß er mehr getrunken haben mußte, als ihm selbst bewußt gewesen war. Wahrscheinlich, weil der Kellner Désiré die Champagnerflasche entkorkt hatte, die eigentlich nur zum Schein hingestellt worden war und Maigret sich zwischen zwei Gläsern Kognak immer wieder mechanisch aus ihr eingegossen hatte.
    »Man weiß ja nicht, ob er halten wird, aber das ist doch jedenfalls viel hübscher als der ewige Regen.«
    Im Grunde war es Maigret herzlich gleichgültig, ob das hübsch war oder nicht. Er liebte jedes Wetter. Er liebte es vor allem, wenn der Wettergott sich in Extremen gefiel. All jene Arten von Wetter wie sintflutartiger Regen, Wirbelstürme, Eiseskälte und glühende Hitze, über die sich die Zeitungen am nächsten Tage jedesmal ausführlich verbreiten, waren gerade das Rechte für ihn. Der Schnee gefiel ihm ebenfalls, weil er ihn an seine Kindheit erinnerte, dennoch: wie konnte seine Frau ihn hier in Paris und zumal an diesem Morgen so erheiternd finden? Der Himmel war noch bleierner als am Tage vorher, und die weißen Flocken ließen die glänzenden Dächer nur noch dunkler erscheinen. Die trüben und schmutzigen Farben der Häuser wie das schon recht schmuddelige Gelb und Weiß der Gardinen sprangen an diesem Morgen besonders in die Augen.
    Während er frühstückte und sich anzog, versuchte er mühsam etwas Ordnung in seine durcheinandergeratenen Erinnerungen an den gestrigen Abend zu bringen. Er hatte nur wenig geschlafen. Erst als das Lokal um halb fünf geschlossen hatte, war er aus dem Picratt herausgekommen und hatte es dann für notwendig gehalten, wie Arlette noch ein letztes Glas in der Kneipe in der Rue de Douai zu trinken. Es wäre ihm schwergefallen, wenn er jetzt in einem kurzen Bericht alles, was er erfahren hatte, schriftlich hätte niederlegen müssen. Zwischendurch hatte er immer lange allein in seiner Box gesessen, dabei die Pfeife geraucht und auf die Tanzfläche oder die Gäste geblickt. In der seltsamen Beleuchtung dort hatte das alles etwas Unwirkliches gehabt. Im Grunde hätte er viel früher wieder gehen können.
    Er blieb nur aus Trägheit und auch, weil irgend etwas an der Atmosphäre ihn fesselte, weil es ihm Spaß machte, die Leute und das Tun und Treiben des Wirts, Rosas und der Mädchen zu beobachten. Das war dort sozusagen eine kleine Welt für sich, die ihr eigenes Leben führte, ein Leben, das so ganz anders war als das der übrigen Welt. Sie alle, Désiré, die beiden Musiker oder wer sonst hier noch arbeitete, gingen erst schlafen, wenn in den anderen Häusern die Wecker klingelten, und verbrachten den größten Teil des Tages im Bett. Auch Arlette hatte so

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