Maigret und die Tänzerin Arlette
muß dabei wirklich so tun, als mache man es nur zum Vergnügen.«
»Konnte Arlette das?«
»Ich habe mich manchmal gefragt, ob sie’s nicht bloß deswegen tat. Ich meine, nicht der Männer wegen. Das wohl kaum. Aber sie wollte sie erregen und in Atem halten. Wenn sie fertig war und in die Küche zurückkam – das ist nämlich unsere Kulisse, denn dort müssen wir immer durch, wenn wir nach oben gehen, um uns umzuziehen –, wenn sie fertig war, sage ich, öffnete sie die Tür einen Spalt breit, um zu sehen, wie sie gewirkt hatte, so wie Schauspieler, die durch das Loch im Vorhang gucken.«
»War sie in jemand verliebt?«
Sie schwieg eine Weile.
»Vielleicht«, sagte sie schließlich. »Gestern morgen noch hätte ich gesagt, nein. Aber heute nacht, als ihr junger Mann gegangen war, wirkte sie sehr nervös. Sie meinte, sie sei eigentlich töricht. Ich habe sie gefragt, warum, und sie hat mir geantwortet, es läge nur an ihr, das zu ändern. ›Was?‹ habe ich gefragt. – ›Alles. Ich hab’s satt.‹ – ›Willst du hier weg?‹ Weil Fred uns hätte hören können, haben wir uns ganz leise unterhalten. Sie hat mir erwidert: ›Es gibt noch etwas anderes als dies Lokal.‹ Sie hatte getrunken, gewiß, aber ich bin sicher, daß sie das nicht nur so hinredete. ›Will er dich aushalten?‹ habe ich sie dann gefragt. Sie hat nur die Schultern gezuckt: ›Du würdest das doch nicht verstehen.‹ Wir haben uns schließlich fast gestritten, und ich habe ihr gesagt, ich sei nicht so dumm, wie sie glaube, ich hätte das auch durchgemacht.«
Diesmal erschienen die »richtigen« Gäste, die der Gnom triumphierend eintreten ließ. Es waren drei Männer und eine Frau. Die Männer waren anscheinend Ausländer, Leute, die gewiß wegen eines Geschäftes oder eines Kongresses nach Paris gekommen waren, denn sie trugen alle eine wichtige Miene zur Schau. Die Frau hatten sie wohl irgendwo auf einer Kaffeeterrasse aufgelesen, und sie machte einen leicht verlegenen Eindruck.
Maigret dabei zublinzelnd, geleitete Fred sie an den Tisch 4 und reichte ihnen eine riesige Karte, auf der alle nur denkbaren Champagnersorten verzeichnet waren. Er hatte bestimmt nicht den vierten Teil davon im Keller und empfahl ihnen eine völlig unbekannte Marke, an der er sicherlich dreihundert Prozent verdiente.
»Ich muß mich jetzt für meine Nummer fertig machen. Erwarten Sie nur nichts Großartiges, aber für das Publikum hier ist’s gut genug. Die wollen ja doch nichts weiter als nackte Schenkel sehen.«
Die Musik spielte eine Java, und Maigret machte Tanja ein Zeichen, die bereits vom Podium heruntergestiegen war, um sich zu ihm zu setzen. Fred nickte ihr seinerseits ermunternd zu.
»Sie wollen mich sprechen?«
Trotz ihres Namens hatte ihre Sprache keinen russischen Akzent, und Maigret merkte gleich, daß sie nicht weit von hier geboren war.
»Setzen Sie sich bitte, und sagen Sie mir, was Sie von Arlette wissen.«
»Wir waren nicht befreundet.«
»Warum?«
»Weil mir ihr ganzes Benehmen unsympathisch war.« Das klang wie ein Peitschenhieb. Dieses Mädchen war nur allzusehr von sich überzeugt, und Maigret war ihr äußerst gleichgültig.
»Haben Sie sich miteinander unterhalten?«
»Nicht einmal das.«
»Haben Sie nicht wenigstens mal miteinander gesprochen?«
»Sowenig wie möglich. Sie war eifersüchtig.«
»Auf was?«
»Auf mich. Sie konnte nicht begreifen, daß eine andere auch interessant sein kann. Für sie gab es nur sie in der Welt. Das mag ich nicht. Sie konnte sogar nicht einmal tanzen, hatte nie Unterricht genommen. Sie konnte sich nur ausziehen, das war alles, und hätte sie nicht alles gezeigt, wär’ ihre Nummer überhaupt nichts gewesen.«
»Sind Sie Tänzerin?«
»Ich habe schon mit zwölf Jahren Unterricht im klassischen Tanz gehabt.«
»Und den tanzen Sie hier?«
»Nein. Hier zeige ich russische Tänze.«
»Hatte Arlette einen Geliebten?«
»Sicherlich. Aber sie hatte gewiß allen Grund, auf ihn nicht stolz zu sein. Darum hat sie auch nie von ihm gesprochen. Ich weiß nur, daß er ein alter Kerl war.«
»Woher wissen Sie das?«
»Wir kleiden uns da oben alle zusammen um. Mehrmals habe ich blaue Flecke an ihrem Körper gesehen. Sie versuchte sie zwar mit einer Cremeschicht zu verdecken, aber ich habe gute Augen.«
»Haben Sie sie darauf angesprochen?«
»Einmal. Sie hat mir geantwortet, sie wäre auf der Treppe gefallen. Aber sie konnte ja unmöglich jede Woche auf der Treppe gefallen sein. Die blauen
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