Maigret und die Unbekannte
hatte, und dann sagte sie seufzend: ›Ich weiß, daß Sie mich für eine schlechte Mutter halten…‹ Schließlich hat sie mir ein Gläschen Likör angeboten. Sie scheint ganz gern zu trinken.
›Aber ich trinke nie, bevor ich ins Kasino gehe‹, hat sie mir erklärt. ›Und beim Spielen trinke ich auch nicht. Nur hinterher ein Gläschen zur Beruhigung der Nerven.‹ Sie hat mir gesagt, von allen menschlichen Tätigkeiten sei das Spielen die anstrengendste.
Aber um auf van Cram zurückzukommen: Nach einigen Monaten hat sie gemerkt, daß sie schwanger war. Es war das erstemal, daß ihr das passierte. Sie konnte es einfach nicht fassen. Sie hat es ihrem Liebhaber gesagt in dem Glauben, er werde ihr raten, sich das Kind abtreiben zu lassen.«
»War sie dazu bereit?«
»Sie weiß es nicht. Sie spricht davon wie von einem bösen Streich, den ihr das Schicksal gespielt hat.
›Ich hätte schon x-mal vorher schwanger sein müssen, und ausgerechnet, als ich schon über achtunddreißig war, ist mir das passiert.‹
Das sind genau ihre Worte.
Van Cram hat nicht mit der Wimper gezuckt, und ein paar Wochen später hat er ihr gesagt, er wolle sie heiraten.«
»Wo haben sie geheiratet?«
»In Istanbul. Das eben kompliziert alles so sehr. Ich glaube, sie hat ihn wirklich geliebt. Er hat sie in irgendein Büro geführt, wo sie etwas unterschreiben und schwören mußte, und hat ihr dann erklärt, sie seien nun verheiratet, und sie hat es ihm geglaubt.
Ein paar Tage später schlug er ihr vor, nach Frankreich zu ziehen.«
»Zusammen?«
»Ja. Sie sind auf einem italienischen Schiff nach Marseille gefahren.«
»Hatte sie einen Paß auf den Namen van Cram?«
»Nein. Ich habe sie danach gefragt. Sie hatten wohl nicht die Zeit gehabt, ihren Paß umschreiben zu lassen. Sie sind zwei Wochen in Marseille geblieben und dann nach Nizza übergesiedelt.
Dort ist das Kind geboren…«
»Wohnten sie im Hotel?«
»Sie hatten eine recht komfortable Wohnung unweit der Promenade des Anglais gemietet. Zwei Monate später ist van Cram eines Tages fortgegangen, um Zigaretten zu kaufen, ist dann aber nicht zurückgekehrt, und sie hat ihn nie wiedergesehen.«
»Hat sie auch nichts mehr von ihm gehört?«
»Er hat ihr mehrmals geschrieben, von überallher, aus London, Kopenhagen, Hamburg, New York, und ihr jedesmal einen Geldbetrag geschickt.«
»Eine beträchtliche Summe?«
»Manchmal ja, aber manchmal lächerlich wenig. Er bat sie, ihm zu schreiben und ihm vor allem von ihrer Tochter zu berichten.«
»Hat sie es getan?«
»Ja.«
»Postlagernd wohl?«
»Ja. Seit jener Zeit spielt sie. So ist ein Jahr nach dem anderen vergangen, das Kind ist schließlich in die Schule gekommen.«
»Hat sie ihren Vater nie gesehen?«
»Sie war zwei Monate alt, als er fortging, und er ist, jedenfalls soviel seine Frau weiß, nie nach Frankreich zurückgekehrt. Vor einem Jahr hat er ihr zum letztenmal einen ziemlich hohen Betrag geschickt, aber sie hat ihn in einer Nacht verspielt.«
»Hat van Cram sie nie gefragt, wo ihre Tochter sei? Wußte er, daß sie nach Paris gegangen ist?«
»Ja. Aber die Mutter wußte die Adresse des jungen Mädchens nicht.«
»Ist das alles, mein Lieber?«
»So ungefähr. Ich hatte den Eindruck, daß sie ein wenig schwindelte, als sie behauptete, nicht zu wissen, wovon ihr Mann lebe… übrigens, ich hätte ja beinah die Hauptsache vergessen… Als sie vor einigen Jahren ihren Personalausweis erneuern lassen mußte, wollte sie ihn auf den Namen van Cram ausgestellt haben. Man verlangte darauf von ihr die Heiratsurkunde. Das einzige Papier, das sie besaß, war in türkischer Sprache abgefaßt. Man hat es sorgfältig geprüft und ans türkische Konsulat geschickt. Schließlich hat man ihr erklärt, das Papier sei wertlos, und sie sei gar nicht verheiratet.«
»War sie darüber entsetzt?«
»Nein. Es scheint sie nichts zu entsetzen, außer wenn zwölfmal nacheinander Rot herauskommt und sie auf Schwarz gesetzt hat. Wenn man sie so hört, hat man das Gefühl, sie lebe in einer ganz anderen Welt.
Als ich ihr vom Tode ihrer Tochter berichtet habe, war sie nicht ein bißchen erschüttert. Sie hat nur gesagt:
›Hoffentlich hat sie nicht zu sehr gelitten…‹«
»Du gehst jetzt wohl schlafen?«
»Ach, nein. Ich muß gleich nach Juan-les-Pins, wo man eben im Kasino einen Betrüger erwischt hat… Brauchen Sie mich nicht mehr, Chef?«
»Im Moment nicht. Einen Augenblick noch. Hat sie dir ein Foto ihres Exgemahls
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